Visa - ein Spiessrutenlauf
Vom Iran bis nach China und zurück– ein Spießrutenlauf
Original 2004
2. Auflage März 2005
Eine große Reise steht an. Wir, Martin und ich, haben uns in den Kopf gesetzt, die weite Strecke von Österreich bis Bhutan in Südostasien mit einem Auto zu bewältigen, jeden Kilometer am eigenen Leib zu spüren und die Veränderung der Menschen und Kulturen direkt mit zu erleben.
Eine vielleicht manchmal anstrengende, aber sicher sehr schöne und interessante Abwechslung zur allgemein genützten Flugmöglichkeit, bei der alles innerhalb 9 Stunden ungesehen vorbeirauscht und man im besten Fall einige Städte als Lichteransammlung weit unten erkennen kann, Berge vorbeiziehen sieht und vielleicht noch den ein oder anderen Blick auf einen See erhascht.
Vom Leben, den Leuten, ihren Gesichtern, ihren Gewohnheiten, den faszinierenden Bauwerken ihrer Jahrtausende alten Kultur, den Gerüchen zwischen den verwinkelten Gassen, dem unseren europäischen Zungen oft fremden Geschmack ihrer kulinarischen Köstlichkeiten und den kräftigen Farben ihrer Gewänder, den Geschichten, die auf den Märkte und in den Karawansereien beim gemütlichen Zusammensein erzählt werden merkt man bei Cateringessen und Hollywoodfilmen im Flugzeug herzlich wenig – all diese Dinge ziehen ungesehen, ungehört, ungeschmeckt, unerlebt an uns vorbei.
Man steigt aus dem Flugzeug und sieht sich in eine andere Welt versetzt, eine neue Welt, die man fasziniert besichtigt, bestaunt. Ein paar Daten aus dem Fremdenführer ergänzen die Informationen vom Reisebüro. Man schießt einige - oder viele - Fotos und verlässt die fremde Welt meist nach spätestens 3 Wochen mit schönen Erinnerungen, die irgendwann verblassen und nur noch auf den Fotos in ihren Originalfarben zu sehen sind.
Um genau dieses Besichtigen und Bestaunen zu einem Erleben werden zu lassen, den Weg zum Ziel machend, verzichten wir auf die „Annehmlichkeiten“ einer Flugreise und bahnen uns unseren eigenen Weg durch Asien.
Die Route zieht sich von Österreich zuerst über Ungarn, Yugoslawien, Bulgarien in die Türkei. Bis hierher hält sich alles was im Vorfeld erledigt werden kann in moderaten Grenzen, in Europa sind keine Visa nötig, in der mit der EU liebäugelnden Türkei sehr wohl, sie sind aber durch einfache Regelungen direkt bei der Einreise zu erhalten.
Die Grenze Asiens lassen wir hinter uns zurück und begeben uns weiter in Richtung Iran. Von dort aus führt die alte Seidenstrasse, an der wir fahren wollen, über Turkmenistan, Usbekistan und Kirgistan nach China, wo der Karakoram Highway beginnt, der ebenfalls Teil unserer abenteuerlichen Strecke werden soll. Über den Karakoram, abschnittsweise am Rande des immer noch Konflikt reichen Gebietes um Kaschmir, erreichen wir – so Gott will – Pakistan. Hier endet die Hochgebirgsstrasse und es geht in eher ebenerem Gebiet weiter nach Indien. Nach einem Abstecher nach Nepal ist fast das Ziel der Reise in Sicht. Eine weitere Einreise in Indien, eventuell durch Sikkim ist nötig, um endgültig nach Bhutan zu gelangen.
Eine genauere Beschreibung der Reiseroute ist zwar in unseren Köpfen, ich sehe diese Etappenziele allerdings erst als fixen Bestandteil der Strecke an, wenn wir uns tatsächlich dort befinden. Bis dahin ist alles möglich und ich möchte mir täglich frei halten, welcher Weg nun genau befahren wird. Die schönsten Situationen ergeben sich bekannter Weise aus spontanen Entschlüssen und auf die Freiheit, dies genießen zu können freue ich mich schon besonders.
Für den weiteren Verlauf der Geschichte ist das auch nicht so wichtig. Um einen Fahrplan in einem Land aufstellen zu können, ist oberste Voraussetzung eine Genehmigung zu besitzen, überhaupt im Staat akzeptiert zu sein – ein Visum also.
Ab der Türkei ist für jedes Land der Besitz eines solchen Visums Pflicht, das nepalesische ist wiederum an der Grenze zu erhalten, das bhutanesische wird in Abwesenheit einer Botschaft in Österreich mit engescanntem Pass und Visumsformular ohne Originale per Mail beantragt. Für alle anderen Länder gilt: auf zur Botschaft oder zum Konsulat!
Es gibt natürlich immer die Möglichkeit, alles auf dem Postweg zu erledigen, man muss jedoch darauf gefasst sein, pro Land um 2 Wochen länger zu warten, den „die österreichische Post ist manchmal sehr langsam“, wie die Botschaftsbediensteten bereitwillig mitteilen. Persönlicher Einsatz ist gefragt um möglichst bald alle 9 benötigten Visa gesammelt zu haben. Die Reise soll schließlich noch dieses Jahr stattfinden, genauer schon in 2 ½ Monaten. Zeit zum Vertrödeln haben wir offensichtlich nicht.
Um auf die Unternehmung optimalst vorbereitet zu sein, kläre ich also im Vorhinein alle nötigen Formalitäten per Internet. Ich besorge mir sämtliche Botschaftsadressen und muss gleich feststellen – diese sind ausnahmslos in Wien angesiedelt, soll heißen: einige Fahrten von Salzburg nach Wien werden wohl auf mich zukommen.
Davon werde ich mich nicht aufhalten lassen, Wien ist immer einen Besuch wert, alte Kontakte können aufgefrischt werden – in einer Stadt mit 1 Million Einwohnern ist immer jemand, den man gerne mal wieder sieht – oder auch nur dafür, sich im kleineren persönlicheren Salzburg wieder mehr zu Hause zu fühlen.
Eine übersichtliche Liste aller Adressen, Telefonnummern, Mail-Adressen, Websites und Öffnungszeiten, dazu alle downgeloadeten Visaantragsformulare inklusive jeweiligen Informationen über alle benötigten Dokumente und Beilagen zum Einreichen sollten für den Anfang genügen.
Einige Botschaften, wie die Pakistanische und die Kirgisische haben keine aktuellen Homepages, ich besorgte mir die pdf-Dateien der Formulare also bei den deutschen Botschaften. Eine Email-Nachfrage bei denselben hatte ergeben, dass dies kein Problem darstellen würde, wir sind doch alle in der großen EU-Familie, die Bestimmungen sollten für alle gleich sein.
Nun kann es also losgehen. Der erste Plan lautet, zuerst alle Visa für den direkten Weg, - Iran, Pakistan, Indien – zu besorgen, damit wir einerseits eine sichere Route haben und andrerseits ausschließen können, nach Erhalt der usbekischen Visa, plötzlich feststellen zu müssen, dass z. B. Turkmenistan unpassierbar ist, wir die vorigen Visakosten umsonst erbracht haben und unser Abenteuer in seiner Grundgestaltung beeinträchtigt ist.
Die Odyssee kann beginnen, der erste Weg führt zu den Indern.
INDIEN I
Die angegebene Adresse am Ring ist leicht zu finden, wir werden aber gleich am Eingang darauf hingewiesen, dass sich die für Visa zuständige Konsularabteilung 5 Häuser weiter befindet. Diese Information hätte wohl auf der Homepage einen zu großen Platz benötigt und war aus Gründen der…. ? ja aus welchen Gründen nun wirklich? nicht für erwähnenswert befunden worden. Inder sind sehr kontaktfreudige Menschen, sie möchten vielleicht einfach nur persönlich für Fragen zu Verfügung stehen. Ein Irrtum, wie sich noch herausstellen sollte.
Durch einen schmalen Hauseingang am Kärntnerring gelangen wir über eine typische Altbaustiege in einem noch schmäleren Treppenhaus in den 2. Stock, in dem an einer dunklen Holzwand das verheißungsvolle Schild „Indische Botschaft, Konsularabteilung“ hängt.
Dieses Schild können wir allerdings nicht sehen, dafür aber die Menschenschlange die es verdeckt. Bis zu Treppenabsatz stehen Leute, zum Großteil indischer Herkunft, die sich ihrem Schicksal ergebend geduldig in die immer länger werdende Reihe fügen. Fast könnte man meinen, in England zu sein, nicht im chaotischen Indien. Die Personen auf unserer Seite der Schalter sind zivilisiert, geordnet, es ist relativ deutlich zu erkennen wer bei welcher Anlaufstelle wartet. Nicht so hinter den Schaltern. Die Beamten wuseln geschäftig herum, jeder trägt stapelweise Dokumente und ist sich der unersetzlichen Wichtigkeit seiner Beschäftigung voll bewusst.
Die Schlange vor uns scheint nicht kürzer zu werden, es sieht aus, als ob wir hier die nächsten vier Stunden verbringen dürften, unsere Leidensgenossen vor uns warten schon seit 2 weiteren Stunden, ohne Aussicht auf baldige Erreichung des Zieles.
Schweren Herzens müssen wir uns nach einer erfolglosen Stunde leider entschließen, den Antrag zuerst bei einer anderen Botschaft einzureichen. Es ist 10:30, bei den Iranern wird laut Homepage bis 11 Uhr gearbeitet, wir machen uns eiligst auf den Weg.
IRAN I
Etwas versteckt im dichten Botschaftsdschungel des 3. Bezirkes finden wir das Gebäude der Botschaft der islamischen Republik Iran. Im Inneren des prächtigen Baus erwarten uns drei leere Glasfenster, hinter denen, den verwaisten Bürostühlen zu Folge, vermutlich die Beamten sitzen sollten. Wir lassen uns also neben den wartenden Kollegen in die der Wand entlang aufgestellten, etwas abgewetzten Couchsessel sinken. Scheinbar sind wir nicht die ersten, die hier länger sitzen. Nochregierungsführer Khatami, der Reformer Khamenei und andere hochrangige Iraner blicken streng aus den Gemälden an der sonst spärlich dekorierten Wand auf uns herab. Nach einem weiteren Check aller nötigen Formulare und in der Hoffnung, doch keine Einladung einer Reiseagentur zu benötigen, hören wir Stimmen aus einem Zimmer hinter dem Zwischenraum mit den einsamen Glasfenstern dringen.
Das Antragsformular hatte ich nach einigen Schwierigkeiten doch noch ausdrucken können. Der Verantwortliche hatte es irgendwie geschafft, das Dokument in einer unabänderbaren Größe anzubieten, die das Format eines A4 Blattes bei Weitem sprengte. Nach einigen Tricks am manuell einstellbaren Drucker war dieses Problem gelöst, das Formular wurde gedruckt, alles bestens – dachte ich.
Unser Sorgenkind ist die Einladung des Reiseveranstalters. Jeder Reisende muss laut Ausfüllhilfe eine Einladung und ein Flugticket mit gebuchtem Rückflug vorweisen können um in den Besitz des Visums zu kommen. Flugticket gibt’s in unserem Fall nicht und auch keinen anderen Vertragspartner im Iran, wie Hotel oder ähnliches. Es ist schwer, etwas zu buchen, wenn man noch gar nicht weiß, zu welchem Zeitpunkt man einreisen wird. Ein paar Tage sind auf Trips wie diesem schnell verstrichen, wenn irgendein glücklicher, aber zeitraubender „Zufall“ oder ein Problem auftreten.
Der telefonische Versuch Klarheit zu erhalten war kläglich fehlgeschlagen, der zuständige Beamte immer „gerade verhindert“. Nun gut – der nette Herr, der soeben aus der Tür tritt und sich auf seinem Stuhl hinter einem der Fenster niederlässt, wird uns sicher Auskunft erteilen können.
Als wir an der Reihe sind und zu zweit zum Schalter kommen spüre ich den ersten Kulturunterschied am eigenen Leib.
Trotz meines Schals, den ich züchtig um den Kopf gewickelt habe, um eventuell anstößige Haare zu verdecken, spricht der gute Mann nur mit meinem – natürlich männlichen – Begleiter. Frauen werden nicht unbedingt als Ansprechpartner betrachtet. Vielleicht ist auch nur die aufdringliche, rote Farbe meines Schals Schuld. Im Iran werde ich mir einen Schwarzen besorgen!
Der Herr Magister unterzieht die Unterlagen einer eingehenden Betrachtung und muss feststellen, dass wir nur die Hälfte des Antrages dabei haben, scheinbar gibt’s auch eine Rückseite. Im Internet war davon nichts zu bemerken. Wir füllen also die dargereichten Zettel noch mal aus, solche Kleinigkeiten bringen uns nicht aus der Ruhe. Hinsichtlich Einladungen nimmt er uns trotzdem unsere Sorgen – zumindest fürs Erste – „das ist keine Aufregung wert, die Botschaft wird sie bestellen.“ Das ganze dauert aber 20 Tage, danach wird uns telefonisch bestätigt, ob sie wirklich eingelangt ist (anrufen müssen selbstverständlich wir), dann können wir den Erlagschein abholen, der unbedingt in bar bei der angegebenen Filiale der BA-CA in Wien einbezahlt werden muss. Die Möglichkeit der elektronischen oder wenigstens bargeldlosen Überweisung scheint hier noch unbekannt zu sein. Sooo lange gibt’s das auch noch nicht…
Als nächstes können wir die Einzahlungsbestätigung bringen und die Bearbeitung der Visa kann unverzüglich beginnen. Sollte der Konsul zufällig anwesend sein, wird er unterschreiben und uns zu stolzen Besitzern einer Einreisegenehmigung in den Iran machen.
Heute warten zwei Pärchen schon seit 2 Stunden auf den Konsul ohne sicher zu sein, dass er überhaupt vor Ende der Amtsstunden zurückkommt. Sie waren gestern auch schon da.
Das ganze heißt im Klartext, die Pässe bleiben 20 Tage liegen, dann müssen wir 2-mal extra anreisen und uns der Willkür des Konsuls ergeben. Martin kann den „Herrn Magister“ freundlich überzeugen, dass wir die Pässe keinesfalls 20 Tage ungenützt hier lassen können. Schließlich sind auch noch andere Visa zu besorgen. Er behält Kopien, gibt uns in einem Anfall von Großzügigkeit noch drei Übrige – mittlerweile weiß ich auch warum: der Kopierer führt ein sehr eigenständiges Leben und druckt entweder gar nicht oder zu viele Exemplare -
Dann wäre da noch die Sache mit dem Erlagschein. Nun bin ich dran, denn Martins Telefon klingelt und er ist für eine Weile beschäftigt. Ich setze mich also deutlich sichtbar in den Stuhl direkt vor dem Fenster und blicke mein Gegenüber optimistisch an. Er schaut auf, an mir vorbei als wäre ich Luft, erhebt sich und verschwindet im Hinterzimmer.
Etwas perplex bleibe ich sitzen. In einem österreichischen Amt würde ich laut auf mein Recht pochen, doch scheint dies hier nicht in Richtung Ziel zu führen. Ich verharre also hartnäckig in meiner Position, er wird schon wieder auftauchen.
Tatsächlich, nach einigen Minuten wird es ihm doch zu langweilig im stillen Kämmerlein, alle Kollegen sind gerade mit Kunden beschäftigt und haben offensichtlich keine Zeit mit ihm zu plaudern.
Er kommt auf mich zu und fragt mit abgewandtem Blick: „Gibt’s noch was?“ Freundlich, aber zurückhaltend lächelnd bitte ich ihn, uns den Erlagschein doch gleich mitzugeben, dann brauchen wir nicht deswegen extra aus Salzburg zu kommen, sondern erst, wenn die Visa fertig sind. 2-mal fahren sollte doch genügen. Mit einem knappen „Unsere Erlagscheine sind durchnummeriert und der Herr Doktor hat gesagt, sie kommen ohnehin öfters nach Wien!“ wollte er sich wieder abwenden. Ich bestätigte seine Information, betonte aber nochmals, dass es unmöglich ist, zu jeder Botschaft 3-mal zu fahren. Nach einigem Hin und Her, Smalltalk und mehreren Hinweisen auf mein großes Interesse an der iranischen Religion, Kultur und den Menschen fängt er scheinbar Feuer. Er erzählt über seine Lieblingsplätze im gottgeweihten Persien, gibt mir noch weiteres Informationsmaterial und zu guter Letzt auch das gewünschte Stück Papier mit gönnerhaftem Blick.
Die erste Hürde wäre also überwunden. Erst jetzt bemerken wir, dass es bereits kurz vor 12 Uhr ist, Amtszeiten sind doch hier nur von 9 – 11 Uhr, wie bei fast allen anderen. Ich frage nach und erfahre, dass bis Mittag gearbeitet wird. Sehr löblich. Die Homepage sollte ab und zu upgedated werden…
Alle anderen befinden sich bereits im Mittagsschlaf, es hat daher keinen Sinn, weiter zu machen. Wir sind immer noch im Besitz unserer Pässe und die Zeit in Wien ist abgelaufen. Geschäfte in Salzburg rufen zum Aufbruch am gleichen Abend.
Zum Glück gibt es, wie schon eingangs erwähnt, in einer Metropole wie Wien immer eine bekannte Seele, im konkreten Fall meinen Onkel, der hier mit seiner Freundin sein Quartier aufgeschlagen hat.
Andrea hat ein Stündchen (aus dem mehrere werden sollten) Zeit und nimmt es selbstlos auf sich, die Dokumente zur pakistanischen Botschaft zu tragen.
Eigentlich wollte ich sämtliche erhaltenen Informationen nochmals telefonisch bestätigt wissen, alle Anrufversuche schlagen jedoch fehl. Wen wundert’s. Obwohl doch genau zu lesen war, dass nur von 9 bis 11 Uhr Parteienverkehr zugelassen ist, wagte ich es, um 10 Uhr anzurufen. Die freundliche Stimme am Tonband erklärte mir: “Sie rufen uns außerhalb unserer Bürostunden an, diese sind von 9 bis 11!“
Ich war schon gewillt zu glauben, dass in Pakistan eine andere Zahlenreihenfolge gelehrt wird, und bedauerte, dass ich bei meinem allerersten Vorinformationsanruf (es gibt keinen pakistanischen Internetkontakt, daher musste ich bitten, die Anträge gefaxt zu bekommen) nicht gleich um Auskunft gebeten hatte. Konnte ich wissen, dass dies der einzige erfolgreiche Anruf bleiben würde?
Nun denn, Andrea wird es auf gut Glück versuchen müssen, zwischen 9 und 11, aber bitte nicht um 10 Uhr.
PAKISTAN
Andreas Mission ist in den Anfängen von mehr Erfolg gekrönt als die unseren. Um 9:30 ist die Konsularabteilung voll besetzt, alles wird ohne Kritik oder plötzlich auftauchenden Änderungen angenommen, sogar die deutschen Formulare stoßen nicht auf Widerstand. Sie solle doch bitte in einer Woche vorbeikommen und alles abholen.
Nach Ablauf dieser Frist öffnet sie wieder frühmorgens die Botschaftstür. Der zuständige Beamte zeigt bei ihrem Anblick Zeichen der Erinnerung, leider sehr hektische und schuldbewusste, er hatte die Bearbeitung vergessen. Schubladen an Botschaftsschreibtischen sind scheinbar vom starken Gebrauch gezeichnet und verzogen. Es kommt vor, dass sie eine Woche lang klemmen!
Er verspricht, das Versäumnis sofort nachzuholen. „Es dauert nur ganz kurz, setzen Sie sich einstweilen!“
Nach einer ganz kurzen Stunde ist Andreas Geduld zu Ende, Termine in der Stadt müssen erledigt werden, sie erklärt dem verständnislos blickenden Beamten (Stress, was ist das? Dringend? Kenn ich nicht!), dass es lange genug gedauert hat, sie wird wohl oder übel morgen wieder kommen müssen.
Siehe da, nach weiteren 5 Minuten sind die Pässe mit blauem Stempel, Staatswappen und Unterschrift versehen. Der vorher so ausgeruhte junge Mann scheint ernsthaft zu überlegen, ob er nicht Krankenstand wegen Überarbeitung beantragen sollte. Er hat schließlich sein Wochenpensum in 2 Minuten erledigt.
Der nächste Bittsteller erkennt die hoffnungslose Lage des Überforderten nicht und bedrängt ihn sofort mit einem weiteren Antrag.
Andrea kann uns noch eine gute Nachricht übermitteln. Entgegen schriftlichen Informationen braucht Martin kein Visum, weil er glücklicher Dienstpassbesitzer ist.
USBEKISTAN I
Am folgenden Freitagvormittag setze ich mich mit den Usbeken in Verbindung. Der oberste Telefonbevollmächtigte meldet sich bereits beim 4. Versuch. Ich schildere die Situation und darf erfahren, dass der Originalpass doch nicht so wichtig ist wie im zuvor per Email zugesandten (!) Infoblatt angekündigt. Ein Fax mit einer Kopie und den beiden Antragsformularen samt Fotos reicht aus. Nach 4 Arbeitstagen soll alles fertig sein und ich kann mit den Originalen zur Bezahlung und Abholung erscheinen. Ein kurzer Anruf vorher würde reichen.
Das läuft ja wie geschmiert. Wo ist der Haken?
TURKMENISTAN I
Von dieser positiven Rückmeldung angespornt werde ich wagemutig und wähle sofort die Nummer der turkmenischen Vertretung. Ich lausche gespannt dem Freizeichen und erwarte fast eine Antwort. Leider hebt niemand ab, ich hinterlasse eine Nachricht mit Bitte um Rückruf auf dem Anrufbeantworter. Vor allem brennt mir wieder die Frage wegen der Einladung, die auch hier verlangt wird, unter den Nägeln. Wenn immer 20 Tage dafür beansprucht werden, sprengt das bald unseren Zeitrahmen.
Allerdings muss ich, sollte mich jemand fragen, was ich nächsten Monat mache, nicht sagen „Ich fahre nach Turkmenistan“, sondern kann stolz behaupten: „Ich bin in Turkmenistan eingeladen!“ Immerhin!
Am nächsten Tag klingelt wider Erwarten mein Telefon. Ein höflicher turkmenischer Mitarbeiter möchte wissen, was mein Anliegen ist. Ermuntert berichte ich von meinen Zweifeln, höre aber nur bestätigt, dass ich eine Einladung brauche, die in diesem Fall nicht von der Botschaft angefordert wird. Ich müsse selbst zu einem Reisebüro mit Kontakten zu turkmenischen Kollegen gehen, die werden mir weiter helfen. Welches Reisebüro konkret diese Möglichkeit hat, weiß er nicht.
Nächste Woche bin ich ohnehin in Wien wegen den usbekischen Visa, ich nehme mir somit vor, ein Reisebüro ausfindig zu machen. Kann doch nicht so schwer sein.
Am Nachmittag erreicht mich wieder ein Anruf, diesmal ist es die Konsulin höchstpersönlich. Auf ihrem Schreibtisch liegt ein Zettel, ich hätte um Rückruf gebeten. Dass der nette Kollege am Vormittag bereits angerufen hat, verschweige ich. Er soll wegen mir nicht in Verdacht geraten, unkoordiniert zu arbeiten. Außerdem ist es eine gute Möglichkeit, mir von der Hauptperson des Amtes meine Fragen bestätigen zu lassen.
Es zahlt sich aus, sie gibt mir sogar die Mail-Adresse eines Reiseveranstalters in Turkmenistan, mit dem ich in Kontakt treten kann, falls ich in Wien kein geeignetes Büro finde. Ich bedanke mich herzlich und spare nicht mit Höflichkeitsfloskeln. In nicht allzu langer Zeit werde ich die Dame persönlich aufsuchen, vielleicht hilft es. Mittlerweile habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, das Botschaftsvolk mit Samthandschuhen anzufassen.
Ich schicke natürlich sofort ein Mail an Amado, den turkmenischen Reiseveranstalter, damit spare ich mir eine Kontaktperson, die die Auskünfte wieder verdrehen kann.
USBEKISTAN II
Nach 4 Tagen bin ich also in Wien und übernehme die Pässe mit den pakistanischen Stempeln von Andrea. Sie erzählt mir ihre Geschichte mit einem wissenden Grinsen. Meine Erlebnisse kennt sie bereits.
Hoffnungsvoll rufe ich bei der usbekischen Botschaft an und erfahre, dass das Fax am Freitag nicht mehr bearbeitet wurde, sondern erst am Montag, es verzögert sich daher alles mindestens um einen Tag. Morgen früh soll ich anrufen, dann wissen sie mehr.
Da war also der Haken, hatte ich’s doch gewusst. Ein Tag länger ist aber kein Problem, Mission Turkmenistan beansprucht sicher einige Zeit!
TURKMENISTAN II
Leider habe ich immer noch keine Antwort aus Turkmenistan, der Versuch, telefonisch Auskunft zu erhalten schlägt fehl, denn die Verbindung ist miserabel. Dann muss ich eben doch die Variante mit dem Partnerbüro wählen.
Beim 4. Reisebüro - ich kann mein Anliegen bereits auswendig aufsagen ohne den Wortlaut zu ändern – habe ich zumindest teilweise Erfolg. Turkmenische Partneragenturen sind offensichtlich spärlich gesät, aber die hilfsbereite Angestellte hat Mitleid mit mir, nennt mir ein Reisebüro mit den gewünschten Verbindungen und fragt sogar telefonisch für mich an. Ich erhalte Adresse, Telefonnummer und den Namen einer Kontaktperson, an die ich mich im persönlichen Gespräch wenden darf. Nichts lieber als das, Stadtplan gezückt, im Laufschritt marsch!
Eine halbe Stunde später stehe ich vor dem Eingang von Ganesha Travel, die sich, wie schon im Namen erkennbar, auf den asiatischen Raum spezialisiert hat. Beschwingt trete ich in ein ziemlich verrauchtes Geschäftsbüro und frage mich bis zu meinem Ansprechpartner im ersten Stock durch.
Es handelt sich um einen etwas älteren, kompetent wirkenden Herrn, der mir versichert, eine Einladung besorgen zu können. Ein Email mit allen Daten und eingescannten Pässen genügt. Die turkmenische Partneragentur kümmert sich um en Rest.
So hört sich eine angenehme Information an. Optimal, zu Hause werde ich mich sofort ans Scannen machen!
USBEKISTAN III
Am frühen Morgen des folgenden Tages wähle ich wie befohlen die Nummer der usbekischen Botschaft. Weder das Antwortfax aus Usbekistan noch die Konsulin sind da, ich soll Verständnis haben und mich bitte noch 1 Stunde gedulden. Der Zeitunterschied sei das Problem.
Meines Wissens beträgt der Zeitunterschied + (!) 5 Stunden, das heißt, der arbeitsintensive Vormittag ist bereits zu Ende, aber ich sage nichts. Man will ja nicht unhöflich sein… es entlockt mir maximal ein sarkastisches Grinsen.
Eine Stunde später hat sich nichts verändert mit der Ausnahme, dass mir der Telefonbevollmächtigte verspricht, selbst anzurufen, sobald es Neuigkeiten gibt. Jetzt heißt es also warten. Soviel zum erwähnten Haken.
Um viertel vor 12 erreicht mich ein hektischer Usbeke. „Das Fax und die Konsulin sind da, kommen Sie bitte gleich, wir schließen um halb eins!“
Also doch ein Happy End? Ich eile schleunigst in die Porzellangasse, ins usbekische Hauptquartier. Groß und freundlich erscheinen die hellen Räume. Für Besucher steht eine moderne, bequem aussehende schwarze Ledercouch in einer wohnzimmerähnlichen Umgebung bereit.
Leider komme ich erst gar nicht in den Genuss. Bei meinem Eintreffen drückt mir die Assistentin einen Erlagschein in die Hand. Einzuzahlen in bar bei der BA-CA Filiale um die Ecke. Ein Déjà-vu? Ich habe nicht Zeit, länger nachzudenken, aber das Gesicht des iranischen Beamten kommt mir in den Sinn. Die BA-CA schließt in 10 Minuten, wieder laufe ich wiener Gassen entlang. Als ich am Schalter stehe und nachsehe, ob ich genug Bargeld bei mir habe oder noch zum Bankomat muss, realisiere ich erst wirklich, welcher Betrag angeführt ist. 80 Euro pro Nase, und das ohne Einladung, denn die wird hier nicht benötigt. Ein stolzer Preis für vier Tage Aufenthalt, diese Summe brauche ich dort wahrscheinlich nicht mal zum Lebensunterhalt.
Das war der Haken, diese Frage wäre nun geklärt.
Um 160 Euro ärmer, dafür mit rotem Stempel auf meiner Zahlungsbestätigung spurte ich zurück. In einem Anflug von schlechtem Gewissen hat die Konsulin beide hinterlassenen Pässe bereits mit ihrem begehrten Visakleber versehen. Als ich ankomme, übergibt sie sie mir sofort strahlend und komplimentiert mich überschwänglich hinaus. Eine gute Taktik, ich komme gar nicht dazu, mich über den Preis zu beschweren.
Jetzt ist wieder Nachmittag, es hat wenig Sinn weiter zu machen. In der Wohnung meines Onkels hecke ich den Schlachtplan für den nächsten Tag aus. Um sicher zu gehen, dass ich nicht zu früh oder spät bei den restlichen Botschaften ankommen, möchte ich mir um 5 Uhr nachmittags vergewissern, wann die genauen Öffnungszeiten sind. Die Infos aus dem Internet waren oft genug nicht aktuell. Ich rufe an und erwarte ein Tonband, das darüber Auskunft gibt.
Und – siehe da, alle Botschaften außer der Chinesischen sind besetzt. Um 5 Uhr nachmittags? Leide ich selbst an einer unbekannten Form der Zeitverschiebung innerhalb Österreichs? Die Konsularstunden sind ausnahmslos vormittags angegeben, die der Botschaften selbst nie länger als bis 16 Uhr und nun sitzen um 17 Uhr manchmal sogar die Konsuln selbst am Telefon und erteilen mir bereitwillig Auskunft?
Der morgige Tag scheint unter einem besonders guten Stern zu stehen!
KIRGISTAN
Ich habe einen Termin bei den Kirgisen!
Gestern war die durch irgendeine glückliche Fügung am Telefon sitzende Konsulin so freundlich, mir zu erlauben, sie heute zu besuchen. Meine Telefonaktion war erfolgreicher als ich gedacht hatte, denn Termine sind in Kirgistan unbedingt nötig. Ich wäre sonst aufs Gerate Wohl gekommen und voraussichtlich vor verschlossener Türe gestanden.
Mit meinen deutschen Anträgen, den Fotos und den beiden Pässen begebe ich mich in die Invalidenstraße. Eine Einladung wird nicht benötigt, Kirgisen freuen sich auch über Besucher mit Eigeninitiative.
Die junge Konsulin begrüßt mich entgegenkommend, nimmt mir höflich meine Unterlagen ab und beanstandet sofort die deutschen Formulare. So werde das nicht bearbeitet, ich müsse schon die österreichische Fassung ausfüllen. Meine eigene solle ich gleich erledigen, die von Martin müsse ich leider mitnehmen und ein zweites Mal ausfüllen lassen. Schließlich braucht sie die Originalunterschrift auf der österreichischen Originalfassung. Sie rät mir, meinen Antrag gleich zu ändern und bei ihr zu lassen und den anderen morgen wieder zu bringen.
Ich erkläre ihr meine Lage, den Zeitdruck und dass es nicht möglich ist, die Unterschrift heute noch zu bekommen, weil Martin gerade seinen Schiurlaub mit seinen Söhnen in Frankreich genießt.
Sie runzelt ihre Stirn und blättert weiter in den Dokumenten. Das ist zumindest kein „Nein.“ „Wo ist die Bestätigung ihrer Reise-Krankenversicherung?“ Das ist auch kein „Nein“, aber trotzdem nicht die gewünschte Antwort. Bestätigung einer Krankenversicherung? Um meine Gesundheit steht es scheinbar wirklich schlechter als ich dachte. Ist vielleicht sogar schon Alzheimer im Anmarsch? Von einer solchen Anforderung weiß ich beim besten Willen nichts. Weder gestern am Telefon noch in der Infobroschüre der kirgisischen Botschaft in Deutschland war davon die Rede.
Jetzt ist Flexibilität angesagt. Ich erinnere mich an den Folder meiner Kreditkarte bezüglich inbegriffener Versicherungskonditionen. Irgendwo in meinem Rucksack liegt das Ding, erst gestern habe ich es durchgelesen. Ich schlage ihr vor, den Folder zu kopieren, denn es ist tatsächlich eine Reise-Krankenversicherung dabei und Martin besitzt ebenfalls eine solche Karte, damit gilt es gleich für beide.
Das ist natürlich nicht ausreichend. Ist ja kein österreichisches Originalformular mit Polizzennummer.
…und wenn du mal glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her…
In diesem Fall ein ganz eigenartiges Lichtlein. Auf der Suche nach weiteren Kritikgründen stößt die Konsulin auf mein Geburtsdatum.
Plötzlich erhellt sich ihre strenge Miene, ihre hübschen Gesichtszüge fallen mir auf. „Sie haben am gleichen Tag Geburtstag wie ich, sogar im selben Jahr!“ Ich weiß zwar noch nicht, was das jetzt bedeutet, aber die neue Freundlichkeit muntert mich auf. Binnen Sekunden ändert sich ihre formelle Haltung und sie schlägt einen weichen Plauderton an.
„So ein Zufall aber auch, dass wir uns treffen. Was führt dich – ich darf unter diesen Umständen sicher „du“ sagen, nicht war, was führt dich in mein Heimatland?“ Obwohl ich die Geschichte vorher bereits erwähnt hatte, eher sachlich, wiederhole ich sie und meine Geburtstagskollegin leiht mir willig ihr Ohr.
„Weißt du was, am besten wird sein, du lässt alles hier, nimmst ein österreichisches Formular mit für deinen Bekannten und er soll es faxen, sobald er zurück ist. Die Originalunterschrift hab ich immerhin auf dem deutschen Antrag, das reicht dann schon. Ich fange in der Zwischenzeit schon an, alles zu bearbeiten, so brauchst du nicht extra wieder nach Wien zu fahren und es entstehen keine verlängerten Wartezeiten. Gib mir nur noch kurz diese Infobroschüre deiner Kreditkarte, ich geh sie kopieren.“
Was sagt man dazu? Mein Geburtsdatum. Welch ein Glück, dass ich mich vor 24 Jahren nicht entschlossen habe, noch etwas länger im schützenden Bauch meiner Mutter zu bleiben oder gar früher neugierig auf >die Welt da draußen< zu sein.
Ihre Wiedersehensfreude beim Abholen muss ich jedoch im Keim ersticken, Andrea nimmt mir liebenswürdiger Weise diesen Gang ab und bringt alles zur chinesischen Botschaft, welche gleich um die Ecke in der „Stlohgasse 22“ liegt.
CHINA I
Die Chinesen sind die einzigen, die sich bis heute standhaft gegen jeden Annäherungsversuch geweigert haben. Eine Homepage gibt es, die angegebene Email Adresse bedauerlicher Weise nicht. Jeder Anrufer wird von einem Tonband abgefangen, an dem man nur vorbeikommt, wenn man die Sprachboxnummer der jeweils zuständigen Person kennt, was natürlich voraussetzt, dass man irgendwann einmal mit dieser Person gesprochen hat. Persönlich von Angesicht zu Angesicht versteht sich, denn wie gesagt, jeder Anrufer wird von einem Tonband abgefangen, an dem man nur vorbeikommt…
Die Öffnungszeiten werden am Tonband bekannt gegeben, ich versuche also mein Glück und werde erhört. Die Eingangstüre ist geöffnet, zwei deutlich beschriftete Schalter für „Abgabe“ und „Abholung“ sind frei zugänglich, hinter dem Glasfenster sitzen zwei junge chinesische Frauen und betrachten mich mit diplomatischer Freundlichkeit.
Vor dem Fenster angekommen möchte ich von der Linken der beiden wissen, woher ich eine Sondergenehmigung für Privatpkws bekomme, die unter den Voraussetzungen für ein Visum im Internet angeführt wird.
Nach der Reiseroute gefragt entgegne ich: „We will enter China at the border from Kyrgyzstan and take the Karakoram Highway from Kashgar to Pakistan. “ Die Ausdrücke China, Pakistan und Kirgistan sind ihr geläufig, bei Kashgar und Karakoram Highway stutzt sie. Wo denn das sei solle ich ihr erklären. In China?
Auch die „soy route“ und „north west“ hilft ihr nicht weiter. Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass mir selbst nur ein Teil des chinesischen Namens von dem Gebiet einfällt. An Xinjiang erinnere ich mich noch, Ugyur ist mir entfallen. Als sie immer noch nicht weiß wo ich hin will wird sie sehr unbürokratisch. „Ist das in Tibet? Nein? Dann brauchen Sie keine Sondergenehmigung.“ Das ist mehr als ich erhofft hatte.
Nun konnte ich beruhigt nach Hause gehen. Andrea würde keine Probleme bei der Abgabe haben. Wenn man sie mal persönlich erwischt, ist es relativ einfach. Geographische Kenntnisse des Heimatlandes sind allerdings kein Aufnahmekriterium für Botschaftsmitarbeiter. Man ist immerhin nur Repräsentant und Auskunftsperson.
Zur Sicherheit bitte ich noch um eine Durchwahlnummer falls unerwartete Fragen auftauchten.
Später erfahre ich von Andrea, dass sie am Mittwoch (mittwochs ist nie Parteienverkehr bei den Chinesen – wer hält schon fünf Tage die Woche lästige Bittsteller aus?) die verwirrte Beamtin scheinbar aus dem Schlaf gerissen hat, denn nach dem Klingeln um 10 Uhr drang eine verschlafene Stimme aus der Sprechanlage an der Eingangstür „Heute keine Konsulalstunden, molgen wiedel.“
TURKMENISTAN III
Von Ganesha Travel habe ich immer noch keine Antwort erhalten, darum gehe ich wieder persönlich hin, es ist nicht weit von der chinesischen Botschaft.
Mein Ansprechpartner ist leider erkrankt. Die Vertretung sieht die Korrespondenz durch und teilt mir mit, was die Partneragentur gemailt hat. Es gibt anscheinend ein neues Gesetz, dem zu Folge man eine Hotelbuchung und einen turkmenischen Guide für die Reise benötigt. Die Frage, ob dieser Guide dann vier Tage lang bei uns im Auto mitfährt oder ich seine Spritkosten auch noch zahlen muss, kann ich mir nicht verkneifen.
Davon abgesehen, macht mir die Hotelbuchung zu schaffen, damit habe ich bekanntlich ein Problem. Ich kann nichts Konkretes reservieren, wenn ich nicht weiß, wann genau ich einreisen werde. Die schönsten Hotels am letzten Märzwochenende helfen mir nichts, wenn wir erst in der ersten Aprilwoche einreisen, weil uns zuvor ein netter Iraner vielleicht auf eine besondere Sehenswürdigkeit etwas abseits vom Weg hingewiesen hat.
Dazu kommt, dass ich mir sicher bin, dass die Konsulin am Telefon etwas von diesem neuen Gesetz erwähnt hätte.
Ich unterstelle dem Reisebüromitarbeiter insgeheim, nur wegen seiner Provision neue Regelungen erfunden zu haben und entscheide mich kurzfristig, ihre turkmenische Heiligkeit in ihrer Residenz, der Botschaft, aufzusuchen.
Sie empfängt mich 10 Minuten später und fragt sogleich, ob ich wegen Visaangelegenheiten oder Sonstigem hier bin, damit sie entscheiden kann, welchen Büroraum sie aufsuchen wird.
In sehr saloppem wiener Dialekt erklärt sie mir, dass sie eine Hotelreservierung oder ein Guide nicht interessieren und es ihr „vollkommen wurscht“ ist, wie ich zu der benötigten Einladung komme. Sie braucht nur dieses Stück Papier mit Stempel der Turkmenischen Republik, alles andere ist ihr, wie schon erwähnt „völlig wurscht“.
Warum Amado nicht schreibt, weiß sie auch nicht, vielleicht sind wieder Feiertage. Das Problem mit der Telefonverbindung kennt sie bereits. „Seit Monaten gibt es irgendwo zwischen der Türkei und dem Iran eine Schwachstelle in der ISDN-Leitung, die Telekom ist damit offensichtlich überfordert. Es funktionieren nur Analogleitungen“, meint sie. Wo bekomme ich bitte schön eine Analogleitung her? In einem Zeitalter, in dem sogar meine Eltern nach langem Überlegen auf die Annehmlichkeiten einer ausschließliche Leitung verzichtet haben und zugunsten aller – abgesehen von Turkmenistan und neuerdings auch mir – ein ISDN Kabel verlegen ließen!?!
Mit frischem Elan laufe ich zurück zu Ganesha Travel, wo ich dem geldgierigen Mit-vierziger den Sachverhalt erkläre.
Scheinbar ist er doch nicht nur auf seine Provision bedacht, denn er verspricht mir, sich selbst mit Amado, meiner kontaktscheuen turkmenischen Agentur, auseinander zu setzen. Vielleicht hilft sein offizieller Briefkopf mehr, als meine private Anfrage!
In spätestens drei Tagen sollte ich Bescheid wissen.
Damit ist mein 2. Wienaufenthalt zu Ende, die Zwischenbilanz ist um einiges besser als nach dem ersten Mal, mein Optimismus hat geholfen!
Wieder zu Hause, finde ich am nächsten Tag ein Mail von Amado in meiner Inbox. Herr Tambaleva entschuldigt sich für die späte Antwort mit der Erklärung, dass die Turkmenen soeben 3 Feiertage genossen hätten.
Eine vollständige Liste mit allen nötigen Voraussetzungen ist beigefügt, ca. 15 einzelne Punkte. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch beginne ich, die Anforderungen zu studieren. Bei Punkt 10 war ich schon wieder frohen Mutes, alles nur Kleinigkeiten, sehr detailliert aufgelistet, keine Spur von Hotelreservierung oder Touristguide.
Fast hätte darüber hinweg gelesen. Vielleicht steigt hier die Reihenfolge der Wichtigkeit, je weiter unten am Blatt und je besser versteckt der Hinweis ist. Wären die Hauptbedingungen zu Beginn und gut lesbar angeführt, könnte ja jeder einfach einreisen – unter Punkt 13 entdecke ich das gefürchtete Wort: Hotel-Voucher. Noch dazu muss dieser am Tag der Einreise von einem Hotelmitarbeiter beim Grenzposten hinterlegt werden. In meiner blühenden Phantasie sehe ich schon einen verhungerten, mit Spinnweben überzogenen Hotelboy tagelang an der Grenze warten.
Das muss ich verhindern! Ein weiteres Mail flitzt nach Turkmenistan. Zum x-ten Mal betone ich die nötige Flexibilität, die man auf eine Autoreise quer durch Europa und Asien mitbringen muss und bitte Herrn Tambaleva erneut, eine Lösung zu finden.
Bereits nach 2 Tagen erhalte ich eine positive Rückmeldung: Er wird einen Blanko-Voucher organisieren für die Einladung und ich darf ihn 3 Tage vor der tatsächlichen Einreise von unterwegs anrufen, damit die exakte Buchung über die Bühne gehen kann.
Unwillkürlich breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Ich kann mein Glück kaum fassen!
Sofort erteile ich ihm offiziell den Auftrag, sich um die Einladung und den Voucher zu kümmern, liste sämtliche erbetenen Daten auf und bestärke ihn, sich umgehend zu melden, sollte er noch etwas brauche. Meinen ohnehin immer sehr persönlichen und anspornenden Abschiedsgruß baue ich unter diesen besonderen Umständen noch ein bisschen aus, Herr Tambaleva hat sich wirklich über seine Standardmöglichkeiten bemüht.
Als nach einer halben Woche immer noch keine weiteren Fragen eingegangen sind, sehe ich es als Bestätigung für den erfolgreichen Start meiner Einladungsbesorgung.
Weit gefehlt! Kurz bevor ich wieder nach Wien unterwegs bin, bemerke ich etwas erstaunt – aber nur etwas, in der Zwischenzeit rechne ich mit allem, denn es ist schon viel passiert! – eine Nachricht in meinem Email Account.
„Gerne übernehmen wir die Organisation Ihrer Einladung, da Sie aber mit einem Privatpkw ankommen, brauchen wir die Fahrgestell- und Motornummer des Wagens. Es dauert dann nur noch 3-4 Wochen und Sie können die Abwicklung der Visaformalitäten in Österreich angehen.“
Ich glaub ich habe das nicht ganz verstanden. Noch einmal: Fahrgestellnummer? Das Auto wird erst frühestens 1 Woche vor Abfahrt geliefert, das ist allerdings eine andere, sehr lange Geschichte. Woher nehme ich die weiteren 3 Wochen?
Jetzt reicht es!
Wir beschließen, Mission Turkmenistan in Österreich zu beenden und den turkmenischen Botschafter im Iran zu bezirzen. Unsere optimistische Grundeinstellung erlaubt uns, uns auf dieses Wagnis einzulassen. Mit etwas Glück bekommen wir dort sogar alles schneller. Vor 30 Jahren war es zumindest noch möglich. Was kann schon in 30 Jahren Entsetzliches passiert sein?
CHINA II
Wieder in Wien, diesmal zu zweit, eilen wir sofort ins chinesische Hauptquartier. Mit den Abholscheinen und dem Geld werden uns die Visa am Abholschalter unverzüglich ausgehändigt. Andrea hatte wieder ganze Arbeit geleistet. Sollte ich noch einmal auf die Idee kommen, so eine Reise zu machen, werde ich sie bei jedem Weg mitnehmen. Ihre Wirkung auf Botschaftsbeamten scheint sensationell. Wo ist der Haken?
Das sollten wir erst später erfahren.
IRAN II
Der Tag ist allerdings noch lange nicht zu Ende, denn bei der iranischen Auslandsvertretung sind die Einladungen eingelangt, wir können also mit der Einzahlungsbestätigung und den Pässen die Visa abholen. Relativ rasch winkt uns der zuvorkommende Herr Magister vom letzten Mal zu sich. Er nimmt die Dokumente entgegen und rät uns, kurz Platz zu nehmen. Eine halbe Stunde später – ich bin wieder allein – lächelt er mir aufmunternd zu und – welch ein Fortschritt – richtet das Wort direkt an mich. Ich will die fertigen Pässe entgegennehmen, doch er denkt gar nicht daran. In 3 Tagen soll ich wieder kommen, dann ist alles parat. Die Frage, warum ich eigentlich jetzt noch eine halbe Stunde warten musste, beschäftigt mich nicht, das ist eher eine übersehbare Kleinigkeit. Vielmehr Kopfzerbrechen macht mir der Termin bei der indischen Konsularabteilung in einer Stunde. Wir sind dort mit 49 Pässen einer Reisegruppe inklusive unserer eigenen angemeldet. Ich erkläre ihm mein „Handicap“ und unterstreiche es mit meinem aller züchtigsten Augenaufschlag. Er soll sich nicht bedrängt fühlen, aber wissen, dass es mir ernst ist.
Sehr viel Arbeit sei zu erledigen, erwidert er und weist bedeutungsvoll auf einen unübersehbar großen Stapel mit 10 Pässen.
Ein Hinweis auf die Möglichkeit von Bestechungs- Verzeihung, Spenden wollte ich sagen? Ich überhöre es geflissentlich und appelliere an sein gutes Herz, ihn bei jeder Gelegenheit „Herr Magister“ nennend (er liebt es, seinen Titel zu hören). Ein mitleidshaschendes Lächeln später bedeutet er mir resignierend, mich wieder zu den Wartenden zu gesellen. Im Stillen triumphierend lasse ich mich auf einen Sessel fallen.
Nach nur 2 weiteren Bittstellern verschwindet er - nicht ohne ein verschwörerisches Augenzwinkern in meine Richtung – in sein Geheimkämmerchen. Als er wieder erscheint, hält er die Pässe samt Visaklebern in seinen Händen und überreicht sie mir lächelnd durchs Fenster. „Das ist eigentlich eine Expressausstellung, die kostet normal doppelt soviel..“ Ein neuer Versuch? Abermals tue ich, als ob ich nicht wisse wovon er spricht. Diese Art Geschäfte ist in Österreich streng verboten, und, was für mich noch wichtiger ist: ich hab auch so alles, was ich will. Ich lasse ihn wissen, dass wir allein durch seine Großzügigkeit alle unsere Termine einhalten können und die Reise ohne große Verzögerungen antreten können und dass ich natürlich sehr gespannt bin, sein Heimatland endlich selbst zu sehen.
So, nun aber am schnellsten Weg zu den Indern!
INDIEN II
Heute können wir sogar den Text auf dem kleinen Schild im Gang lesen, außer uns ist niemand da. Pünktlich zur vereinbarten Zeit betreten wir die Konsulatsräume.
Hier haben wir uns einer größeren Herausforderung zu stellen.
In unserem Gepäck befinden sich insgesamt 49 Pässe, deren Inhaber für eine gemeinsame Sikkim-Reise im Sommer eine Innerline Permit und natürlich das indische Visum brauchen. Da Martin dabei als Reiseorganisator und ich selbst als Reiseleiterin fungiere, sollten unsere beiden Visa gleich für beide Trips gelten. Und im Gegensatz zu den anderen in nur 2 Tagen fertig sein, da ich am kommenden Wochenende ins Ausland fahre, genauer in die Schweiz, wo man bekanntlich immer noch seinen Pass vorweisen muss.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich unter den 49 Personen nur 5 österreichische Staatsbürger befinden, dazu kommen viele Deutsche, Holländische, Spanische und Rumänische. Fast alle haben brav und fristgerecht ihre Unterlagen geschickt, vollständig und korrekt ausgefüllt, mit jeweils 2 Fotos.
Den Umstand, dass wir trotz alledem hier her kommen dürfen und nicht jeder einzelne sein Visum selbst besorgen muss, verdanken wir Herrn Shukla. Ein guter Stern hat beim 4. Anruf über Martin gestanden. Mr. Shukla selbst war am Apparat, erteilte freundlich alle erwünschten Auskünfte und machte es trotz gegenteiliger Auskünfte am Vormittag möglich, alles auf einmal abzuwickeln.
Sogar einen Termin haben wir erhalten.
Hier sind wir also, fest davon überzeugt, uns durch keine bürokratische Hürde einschüchtern zu lassen und standhaft unser Ziel zu verfolgen.
Ein kleiner Inder mit auffallend schwarzem Schnurrbart (im Gegensatz zu den graumelierten Haaren, die unter seinem Turban hervorlugen) begrüßt uns. Die letzte Schnurrbartfärbesession ist bereits einige Tage her, denn der Nachwuchs ist ziemlich weiß, verbindet völlig unscheinbar das Gesicht mit dem colorierten Teil, so dass man den Eindruck bekommt, der tiefschwarze Bart schwebe vor dem Gesicht.
Mr. Shukla erscheint nach mehrmaligem, entschiedenen Pochen auf unsere Verabredung. Es ist jedoch nicht er, der sich anfangs weigert, sondern sein schnauzbärtiger Assistent, der ihn nicht stören möchte.
Gleich darauf vernehmen wir, dass wir für alle ausländischen Staatsbürger ein weiteres Formular mit sämtlichen Daten ausfüllen müssen, das hatte Shukla wohl in der Hektik am Telefon vergessen.
Es kostet zusätzlich 11 Euro pro Nase, denn es wird an die jeweilige Botschaft im Heimatland gefaxt. Ein kostspieliges Unterfangen. Sollte keine Rückmeldung kommen, ist alles in Ordnung und die Visaausstellung kann beginnen. Flattert doch ein Fax aus dem Drucker, so ist die Antwort negativ und der Antrag wird abgelehnt. Wie lange man den Kollegen im Ausland die Chance gibt, abzusagen, entscheidet die Tagesverfassung des Konsuls.
Außerdem sollen wir bei der Gelegenheit in der Zeile „Dauer des Aufenthaltes“ und „Anzahl der Einreisen“ die bereits am PC vorausgefüllten Daten, die bei allen gleich sind, noch einmal groß dazu schreiben. Für unseren Freund mit Turban wäre es sonst zu anstrengend, sich bei jedem Blatt aufs Neue zu konzentrieren und die kleingedruckten Zeilen zu entziffern.
Uns wundert nichts mehr. ‚Schnell’ schreiben wir die 49 Sonderzettel und die gewünschten Änderungen. Mr. Shukla besucht uns in der Zwischenzeit immer wieder und fragt, wie weit wir schon sind. Sein Magen knurrt schon. Als wieder alles eingeordnet ist bringt uns der zuvorkommende Schnauzerträger eine Heftmaschine und möchte, dass wir bei jedem Antrag das 2., nicht angeklebte Foto anheften. Ich bin froh, dass er es uns nicht schon vorher gesagt hatte, sonst wäre alles viel leichter und in einem Arbeitsschritt erledigt gewesen.
Endlich sind wir fertig. Unseren Sonderwunsch bezüglich Eilabfertigung der österreichischen Anträge können wir erfolgreich durchboxen. Nun sind nur noch die finanziellen Forderungen ausständig. Wegen der (überhöhten) Faxgebühren haben wir zu wenig Geld dabei. Ich laufe schleunigst zum nächsten Bankomat und komme keuchend zurück.
Einstweilen hat sich herausgestellt, dass wir das Geld doch nicht brauchen. Bewegung schadet nie, ich bemitleide mich daher nicht, umsonst unter Einsatz meines Lebens im Eiltempo drei stark befahrene Strassen überquert zu haben, sondern bleibe ruhig und gelassen.
Trotzdem bin ich neugierig. Was ist ihnen diesmal eingefallen? Die Erklärung folgt auf dem Fuße. Da die Gruppe erst in genau 6 Monaten und 1 Tag einreist, darf das Ausstellungsdatum nicht von heute sein, denn man muss spätestens nach 6 Monaten zum ersten Mal ins Land. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Mr. Shuklas Assistent heute einen Anfall von Arbeitswut bekommt und sofort alle 49 Anträge bearbeitet. Warum sollte er sonst vorher gemeint haben, dass die Pässe erst in einer Woche abzuholen sind?
Aber ich kenne noch nicht die ganze Geschichte. Das Ausstellungsdatum wird nämlich, egal an welchem Tag die tatsächliche Bearbeitung erfolgt, mit dem Datum des Zahlungsbeleges abgeglichen.
Daher können wir nicht heute zahlen.
Das war jedoch immer noch nicht die ganze Geschichte: Der indische Schreiberling hatte während meiner Abwesenheit versucht, unseren Zeitplan völlig zu durchkreuzen. Er hatte vorgeschlagen, doch erst im Juli wieder zu kommen, damit sicher nichts schief gehen kann mit dem Einreisedatum.
Ist es wirklich so schwer, dass diese Leute ein zweites Mal ihre Ausweise für 3 Wochen verschicken? Soviel Urlaub können die gar nicht haben, dass sie unbedingt immer ihre Pässe zu Verfügung haben müssen. Er war von Martins Argumenten nicht wirklich überzeugt und wahrscheinlich glaubt er, für Geschäftsreisen braucht man keinen Pass.
Mit Mr. Shuklas Unterstützung – so viele Umstände waren sogar ihm zuwider und außerdem hatte er Hunger – konnte Martin ihn wieder in erträglichere Bahnen lenken.
Übermorgen darf ich kommen und die österreichischen Visa abholen, wohl gemerkt am Vormittag zum Bezahlen und am Nachmittag zum Abholen, denn Kassa und Ausfolgungsschalter sind nie gleichzeitig geöffnet. Das könnte Verwirrung stiften.
Am Mittwochvormittag stehe ich also in der Schlange vor dem Herrn mit dem Turban. Er erinnert sich wirklich an mein Anliegen, hat sogar die fünf Pässe vor sich und kassiert die Gebühren. Dann unternimmt er einen letzten Versuch und will mich mit der Abholung auf Morgen vertrösten, doch mittlerweile bin ich abgebrüht und weiß ungefähr, wer mit welchen Mitteln zu erweichen ist. Ich erwähne nur kurz die Abmachung mit Herrn Shukla, und er kriecht bereits zu Kreuze. Um 17 Uhr soll meine Odyssee ein Ende haben.
Ich kann’s noch gar nicht fassen!!
Kurz vor 17 Uhr stehe ich auf der Schwelle. Nur der Ausgabeschalter ist geöffnet, aber der genügt mir. Ohne Probleme bekomme ich die 5 Pässe. Ich will fast gehen, bin aber neugierig, wie der indische Kleber aussieht und vor allem die Sikkim Permit. Beim Blättern im mittlerweile ziemlich vollen Pass werde ich unsicher. Das Visum ist da, aber das Wort Sikkim ist nirgendwo zu entdecken. Der indische Beamte ist ein wenig verwirrt, als ich mich an ihn wende. „Sie brauchen eine Sikkim Permit?“
Eine sarkastische Bemerkung liegt mir auf der Zunge, aber so kurz vor meinem Ziel werde ich mich nicht von derart niederen Gedanken überrumpeln lassen. Lächelnd zeige ich ihm den Antrag und das dick unterstrichene Wort Sikkim in der Spalte „benötigte Genehmigungen“. Hilfe suchend blickt er um sich, es ist ihm sichtlich peinlich.
Just in dem Augenblick läutet die Türglocke, ein Leidensgenosse möchte seinen Pass abholen. Durch die Sprechanlage gibt ihm mein Gegenüber zu verstehen, dass es jetzt 17 Uhr sei und die Konsularabteilung sperre um 17 Uhr zu. Er solle bitte morgen wieder kommen.
Ich war doch selbst für genau 17 Uhr bestellt – sogar zwischen 17 Uhr und 17:30 Uhr. Sollte das ein letzter Versuch gewesen sein, mir Steine in den Weg zu legen? Egal, ich war überpünktlich und bisher hat sich noch alles zum Guten gewendet. Davon gehe ich auch jetzt aus.
Ein Turban biegt um die Ecke, darunter versteckt sich der kleine, überbürokratische Inder von Vorgestern. Als hätte den stummen Hilfeschrei seines Kollegen vorhin gehört, schreitet er mit mitleidiger Miene auf mich zu. Offensichtlich steht mühsame Bürokratie nur in der Vormittagsdienstanordnung, denn er marschiert ohne Aufhebens in sein Büro und stempelt den wichtigen Spezialvermerk in alle 5 Pässe. Beim Abschied erzählt er mir, wie schon zwei Tage zuvor, von seinem Plan, sich in die indische Botschaft in Bhutan versetzen zulassen und lädt mich bei der Gelegenheit gleich zum Tee ein, wenn wir zufällig mal gleichzeitig in Bhutan sein sollten. Ich werde mich hüten, aber das sage ich ihm natürlich nicht!
Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, springe ich im Freudentanz die Stufen hinunter. Wir haben es tatsächlich geschafft, alle Visa sind im Pass, der Reise steht nichts mehr im Wege.
Das turkmenische Visum im Iran kann nur noch ein Kinderspiel sein!!
Es kann losgehen!!!
Nein, halt!
Vorher möchte ich noch eine Gedenkminute einlegen. Eine Gedenkminute für die armen Iraner, Turkmenen, Usbeken, Kirgisen, Chinesen, Pakistani und Inder, die viel längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, wenn sie ein Visum für unsere Europäische Union brauchen.
Sie müssen es wirklich hart erkämpfen durch unsere restriktiven Auflagen, die es ihnen sehr erschweren, Länder in der EU zu besuchen.
Wen wundert es dann noch, wen sie uns ein bisschen mitfühlen lassen möchten, wie es ihnen ergeht, wenn sie im jeweiligen Heimatland viel öfter als nur drei mal zur Botschaft laufen und europäische Bürokratie erdulden müssen?!
Original 2004
2. Auflage März 2005
Eine große Reise steht an. Wir, Martin und ich, haben uns in den Kopf gesetzt, die weite Strecke von Österreich bis Bhutan in Südostasien mit einem Auto zu bewältigen, jeden Kilometer am eigenen Leib zu spüren und die Veränderung der Menschen und Kulturen direkt mit zu erleben.
Eine vielleicht manchmal anstrengende, aber sicher sehr schöne und interessante Abwechslung zur allgemein genützten Flugmöglichkeit, bei der alles innerhalb 9 Stunden ungesehen vorbeirauscht und man im besten Fall einige Städte als Lichteransammlung weit unten erkennen kann, Berge vorbeiziehen sieht und vielleicht noch den ein oder anderen Blick auf einen See erhascht.
Vom Leben, den Leuten, ihren Gesichtern, ihren Gewohnheiten, den faszinierenden Bauwerken ihrer Jahrtausende alten Kultur, den Gerüchen zwischen den verwinkelten Gassen, dem unseren europäischen Zungen oft fremden Geschmack ihrer kulinarischen Köstlichkeiten und den kräftigen Farben ihrer Gewänder, den Geschichten, die auf den Märkte und in den Karawansereien beim gemütlichen Zusammensein erzählt werden merkt man bei Cateringessen und Hollywoodfilmen im Flugzeug herzlich wenig – all diese Dinge ziehen ungesehen, ungehört, ungeschmeckt, unerlebt an uns vorbei.
Man steigt aus dem Flugzeug und sieht sich in eine andere Welt versetzt, eine neue Welt, die man fasziniert besichtigt, bestaunt. Ein paar Daten aus dem Fremdenführer ergänzen die Informationen vom Reisebüro. Man schießt einige - oder viele - Fotos und verlässt die fremde Welt meist nach spätestens 3 Wochen mit schönen Erinnerungen, die irgendwann verblassen und nur noch auf den Fotos in ihren Originalfarben zu sehen sind.
Um genau dieses Besichtigen und Bestaunen zu einem Erleben werden zu lassen, den Weg zum Ziel machend, verzichten wir auf die „Annehmlichkeiten“ einer Flugreise und bahnen uns unseren eigenen Weg durch Asien.
Die Route zieht sich von Österreich zuerst über Ungarn, Yugoslawien, Bulgarien in die Türkei. Bis hierher hält sich alles was im Vorfeld erledigt werden kann in moderaten Grenzen, in Europa sind keine Visa nötig, in der mit der EU liebäugelnden Türkei sehr wohl, sie sind aber durch einfache Regelungen direkt bei der Einreise zu erhalten.
Die Grenze Asiens lassen wir hinter uns zurück und begeben uns weiter in Richtung Iran. Von dort aus führt die alte Seidenstrasse, an der wir fahren wollen, über Turkmenistan, Usbekistan und Kirgistan nach China, wo der Karakoram Highway beginnt, der ebenfalls Teil unserer abenteuerlichen Strecke werden soll. Über den Karakoram, abschnittsweise am Rande des immer noch Konflikt reichen Gebietes um Kaschmir, erreichen wir – so Gott will – Pakistan. Hier endet die Hochgebirgsstrasse und es geht in eher ebenerem Gebiet weiter nach Indien. Nach einem Abstecher nach Nepal ist fast das Ziel der Reise in Sicht. Eine weitere Einreise in Indien, eventuell durch Sikkim ist nötig, um endgültig nach Bhutan zu gelangen.
Eine genauere Beschreibung der Reiseroute ist zwar in unseren Köpfen, ich sehe diese Etappenziele allerdings erst als fixen Bestandteil der Strecke an, wenn wir uns tatsächlich dort befinden. Bis dahin ist alles möglich und ich möchte mir täglich frei halten, welcher Weg nun genau befahren wird. Die schönsten Situationen ergeben sich bekannter Weise aus spontanen Entschlüssen und auf die Freiheit, dies genießen zu können freue ich mich schon besonders.
Für den weiteren Verlauf der Geschichte ist das auch nicht so wichtig. Um einen Fahrplan in einem Land aufstellen zu können, ist oberste Voraussetzung eine Genehmigung zu besitzen, überhaupt im Staat akzeptiert zu sein – ein Visum also.
Ab der Türkei ist für jedes Land der Besitz eines solchen Visums Pflicht, das nepalesische ist wiederum an der Grenze zu erhalten, das bhutanesische wird in Abwesenheit einer Botschaft in Österreich mit engescanntem Pass und Visumsformular ohne Originale per Mail beantragt. Für alle anderen Länder gilt: auf zur Botschaft oder zum Konsulat!
Es gibt natürlich immer die Möglichkeit, alles auf dem Postweg zu erledigen, man muss jedoch darauf gefasst sein, pro Land um 2 Wochen länger zu warten, den „die österreichische Post ist manchmal sehr langsam“, wie die Botschaftsbediensteten bereitwillig mitteilen. Persönlicher Einsatz ist gefragt um möglichst bald alle 9 benötigten Visa gesammelt zu haben. Die Reise soll schließlich noch dieses Jahr stattfinden, genauer schon in 2 ½ Monaten. Zeit zum Vertrödeln haben wir offensichtlich nicht.
Um auf die Unternehmung optimalst vorbereitet zu sein, kläre ich also im Vorhinein alle nötigen Formalitäten per Internet. Ich besorge mir sämtliche Botschaftsadressen und muss gleich feststellen – diese sind ausnahmslos in Wien angesiedelt, soll heißen: einige Fahrten von Salzburg nach Wien werden wohl auf mich zukommen.
Davon werde ich mich nicht aufhalten lassen, Wien ist immer einen Besuch wert, alte Kontakte können aufgefrischt werden – in einer Stadt mit 1 Million Einwohnern ist immer jemand, den man gerne mal wieder sieht – oder auch nur dafür, sich im kleineren persönlicheren Salzburg wieder mehr zu Hause zu fühlen.
Eine übersichtliche Liste aller Adressen, Telefonnummern, Mail-Adressen, Websites und Öffnungszeiten, dazu alle downgeloadeten Visaantragsformulare inklusive jeweiligen Informationen über alle benötigten Dokumente und Beilagen zum Einreichen sollten für den Anfang genügen.
Einige Botschaften, wie die Pakistanische und die Kirgisische haben keine aktuellen Homepages, ich besorgte mir die pdf-Dateien der Formulare also bei den deutschen Botschaften. Eine Email-Nachfrage bei denselben hatte ergeben, dass dies kein Problem darstellen würde, wir sind doch alle in der großen EU-Familie, die Bestimmungen sollten für alle gleich sein.
Nun kann es also losgehen. Der erste Plan lautet, zuerst alle Visa für den direkten Weg, - Iran, Pakistan, Indien – zu besorgen, damit wir einerseits eine sichere Route haben und andrerseits ausschließen können, nach Erhalt der usbekischen Visa, plötzlich feststellen zu müssen, dass z. B. Turkmenistan unpassierbar ist, wir die vorigen Visakosten umsonst erbracht haben und unser Abenteuer in seiner Grundgestaltung beeinträchtigt ist.
Die Odyssee kann beginnen, der erste Weg führt zu den Indern.
INDIEN I
Die angegebene Adresse am Ring ist leicht zu finden, wir werden aber gleich am Eingang darauf hingewiesen, dass sich die für Visa zuständige Konsularabteilung 5 Häuser weiter befindet. Diese Information hätte wohl auf der Homepage einen zu großen Platz benötigt und war aus Gründen der…. ? ja aus welchen Gründen nun wirklich? nicht für erwähnenswert befunden worden. Inder sind sehr kontaktfreudige Menschen, sie möchten vielleicht einfach nur persönlich für Fragen zu Verfügung stehen. Ein Irrtum, wie sich noch herausstellen sollte.
Durch einen schmalen Hauseingang am Kärntnerring gelangen wir über eine typische Altbaustiege in einem noch schmäleren Treppenhaus in den 2. Stock, in dem an einer dunklen Holzwand das verheißungsvolle Schild „Indische Botschaft, Konsularabteilung“ hängt.
Dieses Schild können wir allerdings nicht sehen, dafür aber die Menschenschlange die es verdeckt. Bis zu Treppenabsatz stehen Leute, zum Großteil indischer Herkunft, die sich ihrem Schicksal ergebend geduldig in die immer länger werdende Reihe fügen. Fast könnte man meinen, in England zu sein, nicht im chaotischen Indien. Die Personen auf unserer Seite der Schalter sind zivilisiert, geordnet, es ist relativ deutlich zu erkennen wer bei welcher Anlaufstelle wartet. Nicht so hinter den Schaltern. Die Beamten wuseln geschäftig herum, jeder trägt stapelweise Dokumente und ist sich der unersetzlichen Wichtigkeit seiner Beschäftigung voll bewusst.
Die Schlange vor uns scheint nicht kürzer zu werden, es sieht aus, als ob wir hier die nächsten vier Stunden verbringen dürften, unsere Leidensgenossen vor uns warten schon seit 2 weiteren Stunden, ohne Aussicht auf baldige Erreichung des Zieles.
Schweren Herzens müssen wir uns nach einer erfolglosen Stunde leider entschließen, den Antrag zuerst bei einer anderen Botschaft einzureichen. Es ist 10:30, bei den Iranern wird laut Homepage bis 11 Uhr gearbeitet, wir machen uns eiligst auf den Weg.
IRAN I
Etwas versteckt im dichten Botschaftsdschungel des 3. Bezirkes finden wir das Gebäude der Botschaft der islamischen Republik Iran. Im Inneren des prächtigen Baus erwarten uns drei leere Glasfenster, hinter denen, den verwaisten Bürostühlen zu Folge, vermutlich die Beamten sitzen sollten. Wir lassen uns also neben den wartenden Kollegen in die der Wand entlang aufgestellten, etwas abgewetzten Couchsessel sinken. Scheinbar sind wir nicht die ersten, die hier länger sitzen. Nochregierungsführer Khatami, der Reformer Khamenei und andere hochrangige Iraner blicken streng aus den Gemälden an der sonst spärlich dekorierten Wand auf uns herab. Nach einem weiteren Check aller nötigen Formulare und in der Hoffnung, doch keine Einladung einer Reiseagentur zu benötigen, hören wir Stimmen aus einem Zimmer hinter dem Zwischenraum mit den einsamen Glasfenstern dringen.
Das Antragsformular hatte ich nach einigen Schwierigkeiten doch noch ausdrucken können. Der Verantwortliche hatte es irgendwie geschafft, das Dokument in einer unabänderbaren Größe anzubieten, die das Format eines A4 Blattes bei Weitem sprengte. Nach einigen Tricks am manuell einstellbaren Drucker war dieses Problem gelöst, das Formular wurde gedruckt, alles bestens – dachte ich.
Unser Sorgenkind ist die Einladung des Reiseveranstalters. Jeder Reisende muss laut Ausfüllhilfe eine Einladung und ein Flugticket mit gebuchtem Rückflug vorweisen können um in den Besitz des Visums zu kommen. Flugticket gibt’s in unserem Fall nicht und auch keinen anderen Vertragspartner im Iran, wie Hotel oder ähnliches. Es ist schwer, etwas zu buchen, wenn man noch gar nicht weiß, zu welchem Zeitpunkt man einreisen wird. Ein paar Tage sind auf Trips wie diesem schnell verstrichen, wenn irgendein glücklicher, aber zeitraubender „Zufall“ oder ein Problem auftreten.
Der telefonische Versuch Klarheit zu erhalten war kläglich fehlgeschlagen, der zuständige Beamte immer „gerade verhindert“. Nun gut – der nette Herr, der soeben aus der Tür tritt und sich auf seinem Stuhl hinter einem der Fenster niederlässt, wird uns sicher Auskunft erteilen können.
Als wir an der Reihe sind und zu zweit zum Schalter kommen spüre ich den ersten Kulturunterschied am eigenen Leib.
Trotz meines Schals, den ich züchtig um den Kopf gewickelt habe, um eventuell anstößige Haare zu verdecken, spricht der gute Mann nur mit meinem – natürlich männlichen – Begleiter. Frauen werden nicht unbedingt als Ansprechpartner betrachtet. Vielleicht ist auch nur die aufdringliche, rote Farbe meines Schals Schuld. Im Iran werde ich mir einen Schwarzen besorgen!
Der Herr Magister unterzieht die Unterlagen einer eingehenden Betrachtung und muss feststellen, dass wir nur die Hälfte des Antrages dabei haben, scheinbar gibt’s auch eine Rückseite. Im Internet war davon nichts zu bemerken. Wir füllen also die dargereichten Zettel noch mal aus, solche Kleinigkeiten bringen uns nicht aus der Ruhe. Hinsichtlich Einladungen nimmt er uns trotzdem unsere Sorgen – zumindest fürs Erste – „das ist keine Aufregung wert, die Botschaft wird sie bestellen.“ Das ganze dauert aber 20 Tage, danach wird uns telefonisch bestätigt, ob sie wirklich eingelangt ist (anrufen müssen selbstverständlich wir), dann können wir den Erlagschein abholen, der unbedingt in bar bei der angegebenen Filiale der BA-CA in Wien einbezahlt werden muss. Die Möglichkeit der elektronischen oder wenigstens bargeldlosen Überweisung scheint hier noch unbekannt zu sein. Sooo lange gibt’s das auch noch nicht…
Als nächstes können wir die Einzahlungsbestätigung bringen und die Bearbeitung der Visa kann unverzüglich beginnen. Sollte der Konsul zufällig anwesend sein, wird er unterschreiben und uns zu stolzen Besitzern einer Einreisegenehmigung in den Iran machen.
Heute warten zwei Pärchen schon seit 2 Stunden auf den Konsul ohne sicher zu sein, dass er überhaupt vor Ende der Amtsstunden zurückkommt. Sie waren gestern auch schon da.
Das ganze heißt im Klartext, die Pässe bleiben 20 Tage liegen, dann müssen wir 2-mal extra anreisen und uns der Willkür des Konsuls ergeben. Martin kann den „Herrn Magister“ freundlich überzeugen, dass wir die Pässe keinesfalls 20 Tage ungenützt hier lassen können. Schließlich sind auch noch andere Visa zu besorgen. Er behält Kopien, gibt uns in einem Anfall von Großzügigkeit noch drei Übrige – mittlerweile weiß ich auch warum: der Kopierer führt ein sehr eigenständiges Leben und druckt entweder gar nicht oder zu viele Exemplare -
Dann wäre da noch die Sache mit dem Erlagschein. Nun bin ich dran, denn Martins Telefon klingelt und er ist für eine Weile beschäftigt. Ich setze mich also deutlich sichtbar in den Stuhl direkt vor dem Fenster und blicke mein Gegenüber optimistisch an. Er schaut auf, an mir vorbei als wäre ich Luft, erhebt sich und verschwindet im Hinterzimmer.
Etwas perplex bleibe ich sitzen. In einem österreichischen Amt würde ich laut auf mein Recht pochen, doch scheint dies hier nicht in Richtung Ziel zu führen. Ich verharre also hartnäckig in meiner Position, er wird schon wieder auftauchen.
Tatsächlich, nach einigen Minuten wird es ihm doch zu langweilig im stillen Kämmerlein, alle Kollegen sind gerade mit Kunden beschäftigt und haben offensichtlich keine Zeit mit ihm zu plaudern.
Er kommt auf mich zu und fragt mit abgewandtem Blick: „Gibt’s noch was?“ Freundlich, aber zurückhaltend lächelnd bitte ich ihn, uns den Erlagschein doch gleich mitzugeben, dann brauchen wir nicht deswegen extra aus Salzburg zu kommen, sondern erst, wenn die Visa fertig sind. 2-mal fahren sollte doch genügen. Mit einem knappen „Unsere Erlagscheine sind durchnummeriert und der Herr Doktor hat gesagt, sie kommen ohnehin öfters nach Wien!“ wollte er sich wieder abwenden. Ich bestätigte seine Information, betonte aber nochmals, dass es unmöglich ist, zu jeder Botschaft 3-mal zu fahren. Nach einigem Hin und Her, Smalltalk und mehreren Hinweisen auf mein großes Interesse an der iranischen Religion, Kultur und den Menschen fängt er scheinbar Feuer. Er erzählt über seine Lieblingsplätze im gottgeweihten Persien, gibt mir noch weiteres Informationsmaterial und zu guter Letzt auch das gewünschte Stück Papier mit gönnerhaftem Blick.
Die erste Hürde wäre also überwunden. Erst jetzt bemerken wir, dass es bereits kurz vor 12 Uhr ist, Amtszeiten sind doch hier nur von 9 – 11 Uhr, wie bei fast allen anderen. Ich frage nach und erfahre, dass bis Mittag gearbeitet wird. Sehr löblich. Die Homepage sollte ab und zu upgedated werden…
Alle anderen befinden sich bereits im Mittagsschlaf, es hat daher keinen Sinn, weiter zu machen. Wir sind immer noch im Besitz unserer Pässe und die Zeit in Wien ist abgelaufen. Geschäfte in Salzburg rufen zum Aufbruch am gleichen Abend.
Zum Glück gibt es, wie schon eingangs erwähnt, in einer Metropole wie Wien immer eine bekannte Seele, im konkreten Fall meinen Onkel, der hier mit seiner Freundin sein Quartier aufgeschlagen hat.
Andrea hat ein Stündchen (aus dem mehrere werden sollten) Zeit und nimmt es selbstlos auf sich, die Dokumente zur pakistanischen Botschaft zu tragen.
Eigentlich wollte ich sämtliche erhaltenen Informationen nochmals telefonisch bestätigt wissen, alle Anrufversuche schlagen jedoch fehl. Wen wundert’s. Obwohl doch genau zu lesen war, dass nur von 9 bis 11 Uhr Parteienverkehr zugelassen ist, wagte ich es, um 10 Uhr anzurufen. Die freundliche Stimme am Tonband erklärte mir: “Sie rufen uns außerhalb unserer Bürostunden an, diese sind von 9 bis 11!“
Ich war schon gewillt zu glauben, dass in Pakistan eine andere Zahlenreihenfolge gelehrt wird, und bedauerte, dass ich bei meinem allerersten Vorinformationsanruf (es gibt keinen pakistanischen Internetkontakt, daher musste ich bitten, die Anträge gefaxt zu bekommen) nicht gleich um Auskunft gebeten hatte. Konnte ich wissen, dass dies der einzige erfolgreiche Anruf bleiben würde?
Nun denn, Andrea wird es auf gut Glück versuchen müssen, zwischen 9 und 11, aber bitte nicht um 10 Uhr.
PAKISTAN
Andreas Mission ist in den Anfängen von mehr Erfolg gekrönt als die unseren. Um 9:30 ist die Konsularabteilung voll besetzt, alles wird ohne Kritik oder plötzlich auftauchenden Änderungen angenommen, sogar die deutschen Formulare stoßen nicht auf Widerstand. Sie solle doch bitte in einer Woche vorbeikommen und alles abholen.
Nach Ablauf dieser Frist öffnet sie wieder frühmorgens die Botschaftstür. Der zuständige Beamte zeigt bei ihrem Anblick Zeichen der Erinnerung, leider sehr hektische und schuldbewusste, er hatte die Bearbeitung vergessen. Schubladen an Botschaftsschreibtischen sind scheinbar vom starken Gebrauch gezeichnet und verzogen. Es kommt vor, dass sie eine Woche lang klemmen!
Er verspricht, das Versäumnis sofort nachzuholen. „Es dauert nur ganz kurz, setzen Sie sich einstweilen!“
Nach einer ganz kurzen Stunde ist Andreas Geduld zu Ende, Termine in der Stadt müssen erledigt werden, sie erklärt dem verständnislos blickenden Beamten (Stress, was ist das? Dringend? Kenn ich nicht!), dass es lange genug gedauert hat, sie wird wohl oder übel morgen wieder kommen müssen.
Siehe da, nach weiteren 5 Minuten sind die Pässe mit blauem Stempel, Staatswappen und Unterschrift versehen. Der vorher so ausgeruhte junge Mann scheint ernsthaft zu überlegen, ob er nicht Krankenstand wegen Überarbeitung beantragen sollte. Er hat schließlich sein Wochenpensum in 2 Minuten erledigt.
Der nächste Bittsteller erkennt die hoffnungslose Lage des Überforderten nicht und bedrängt ihn sofort mit einem weiteren Antrag.
Andrea kann uns noch eine gute Nachricht übermitteln. Entgegen schriftlichen Informationen braucht Martin kein Visum, weil er glücklicher Dienstpassbesitzer ist.
USBEKISTAN I
Am folgenden Freitagvormittag setze ich mich mit den Usbeken in Verbindung. Der oberste Telefonbevollmächtigte meldet sich bereits beim 4. Versuch. Ich schildere die Situation und darf erfahren, dass der Originalpass doch nicht so wichtig ist wie im zuvor per Email zugesandten (!) Infoblatt angekündigt. Ein Fax mit einer Kopie und den beiden Antragsformularen samt Fotos reicht aus. Nach 4 Arbeitstagen soll alles fertig sein und ich kann mit den Originalen zur Bezahlung und Abholung erscheinen. Ein kurzer Anruf vorher würde reichen.
Das läuft ja wie geschmiert. Wo ist der Haken?
TURKMENISTAN I
Von dieser positiven Rückmeldung angespornt werde ich wagemutig und wähle sofort die Nummer der turkmenischen Vertretung. Ich lausche gespannt dem Freizeichen und erwarte fast eine Antwort. Leider hebt niemand ab, ich hinterlasse eine Nachricht mit Bitte um Rückruf auf dem Anrufbeantworter. Vor allem brennt mir wieder die Frage wegen der Einladung, die auch hier verlangt wird, unter den Nägeln. Wenn immer 20 Tage dafür beansprucht werden, sprengt das bald unseren Zeitrahmen.
Allerdings muss ich, sollte mich jemand fragen, was ich nächsten Monat mache, nicht sagen „Ich fahre nach Turkmenistan“, sondern kann stolz behaupten: „Ich bin in Turkmenistan eingeladen!“ Immerhin!
Am nächsten Tag klingelt wider Erwarten mein Telefon. Ein höflicher turkmenischer Mitarbeiter möchte wissen, was mein Anliegen ist. Ermuntert berichte ich von meinen Zweifeln, höre aber nur bestätigt, dass ich eine Einladung brauche, die in diesem Fall nicht von der Botschaft angefordert wird. Ich müsse selbst zu einem Reisebüro mit Kontakten zu turkmenischen Kollegen gehen, die werden mir weiter helfen. Welches Reisebüro konkret diese Möglichkeit hat, weiß er nicht.
Nächste Woche bin ich ohnehin in Wien wegen den usbekischen Visa, ich nehme mir somit vor, ein Reisebüro ausfindig zu machen. Kann doch nicht so schwer sein.
Am Nachmittag erreicht mich wieder ein Anruf, diesmal ist es die Konsulin höchstpersönlich. Auf ihrem Schreibtisch liegt ein Zettel, ich hätte um Rückruf gebeten. Dass der nette Kollege am Vormittag bereits angerufen hat, verschweige ich. Er soll wegen mir nicht in Verdacht geraten, unkoordiniert zu arbeiten. Außerdem ist es eine gute Möglichkeit, mir von der Hauptperson des Amtes meine Fragen bestätigen zu lassen.
Es zahlt sich aus, sie gibt mir sogar die Mail-Adresse eines Reiseveranstalters in Turkmenistan, mit dem ich in Kontakt treten kann, falls ich in Wien kein geeignetes Büro finde. Ich bedanke mich herzlich und spare nicht mit Höflichkeitsfloskeln. In nicht allzu langer Zeit werde ich die Dame persönlich aufsuchen, vielleicht hilft es. Mittlerweile habe ich mir zur Gewohnheit gemacht, das Botschaftsvolk mit Samthandschuhen anzufassen.
Ich schicke natürlich sofort ein Mail an Amado, den turkmenischen Reiseveranstalter, damit spare ich mir eine Kontaktperson, die die Auskünfte wieder verdrehen kann.
USBEKISTAN II
Nach 4 Tagen bin ich also in Wien und übernehme die Pässe mit den pakistanischen Stempeln von Andrea. Sie erzählt mir ihre Geschichte mit einem wissenden Grinsen. Meine Erlebnisse kennt sie bereits.
Hoffnungsvoll rufe ich bei der usbekischen Botschaft an und erfahre, dass das Fax am Freitag nicht mehr bearbeitet wurde, sondern erst am Montag, es verzögert sich daher alles mindestens um einen Tag. Morgen früh soll ich anrufen, dann wissen sie mehr.
Da war also der Haken, hatte ich’s doch gewusst. Ein Tag länger ist aber kein Problem, Mission Turkmenistan beansprucht sicher einige Zeit!
TURKMENISTAN II
Leider habe ich immer noch keine Antwort aus Turkmenistan, der Versuch, telefonisch Auskunft zu erhalten schlägt fehl, denn die Verbindung ist miserabel. Dann muss ich eben doch die Variante mit dem Partnerbüro wählen.
Beim 4. Reisebüro - ich kann mein Anliegen bereits auswendig aufsagen ohne den Wortlaut zu ändern – habe ich zumindest teilweise Erfolg. Turkmenische Partneragenturen sind offensichtlich spärlich gesät, aber die hilfsbereite Angestellte hat Mitleid mit mir, nennt mir ein Reisebüro mit den gewünschten Verbindungen und fragt sogar telefonisch für mich an. Ich erhalte Adresse, Telefonnummer und den Namen einer Kontaktperson, an die ich mich im persönlichen Gespräch wenden darf. Nichts lieber als das, Stadtplan gezückt, im Laufschritt marsch!
Eine halbe Stunde später stehe ich vor dem Eingang von Ganesha Travel, die sich, wie schon im Namen erkennbar, auf den asiatischen Raum spezialisiert hat. Beschwingt trete ich in ein ziemlich verrauchtes Geschäftsbüro und frage mich bis zu meinem Ansprechpartner im ersten Stock durch.
Es handelt sich um einen etwas älteren, kompetent wirkenden Herrn, der mir versichert, eine Einladung besorgen zu können. Ein Email mit allen Daten und eingescannten Pässen genügt. Die turkmenische Partneragentur kümmert sich um en Rest.
So hört sich eine angenehme Information an. Optimal, zu Hause werde ich mich sofort ans Scannen machen!
USBEKISTAN III
Am frühen Morgen des folgenden Tages wähle ich wie befohlen die Nummer der usbekischen Botschaft. Weder das Antwortfax aus Usbekistan noch die Konsulin sind da, ich soll Verständnis haben und mich bitte noch 1 Stunde gedulden. Der Zeitunterschied sei das Problem.
Meines Wissens beträgt der Zeitunterschied + (!) 5 Stunden, das heißt, der arbeitsintensive Vormittag ist bereits zu Ende, aber ich sage nichts. Man will ja nicht unhöflich sein… es entlockt mir maximal ein sarkastisches Grinsen.
Eine Stunde später hat sich nichts verändert mit der Ausnahme, dass mir der Telefonbevollmächtigte verspricht, selbst anzurufen, sobald es Neuigkeiten gibt. Jetzt heißt es also warten. Soviel zum erwähnten Haken.
Um viertel vor 12 erreicht mich ein hektischer Usbeke. „Das Fax und die Konsulin sind da, kommen Sie bitte gleich, wir schließen um halb eins!“
Also doch ein Happy End? Ich eile schleunigst in die Porzellangasse, ins usbekische Hauptquartier. Groß und freundlich erscheinen die hellen Räume. Für Besucher steht eine moderne, bequem aussehende schwarze Ledercouch in einer wohnzimmerähnlichen Umgebung bereit.
Leider komme ich erst gar nicht in den Genuss. Bei meinem Eintreffen drückt mir die Assistentin einen Erlagschein in die Hand. Einzuzahlen in bar bei der BA-CA Filiale um die Ecke. Ein Déjà-vu? Ich habe nicht Zeit, länger nachzudenken, aber das Gesicht des iranischen Beamten kommt mir in den Sinn. Die BA-CA schließt in 10 Minuten, wieder laufe ich wiener Gassen entlang. Als ich am Schalter stehe und nachsehe, ob ich genug Bargeld bei mir habe oder noch zum Bankomat muss, realisiere ich erst wirklich, welcher Betrag angeführt ist. 80 Euro pro Nase, und das ohne Einladung, denn die wird hier nicht benötigt. Ein stolzer Preis für vier Tage Aufenthalt, diese Summe brauche ich dort wahrscheinlich nicht mal zum Lebensunterhalt.
Das war der Haken, diese Frage wäre nun geklärt.
Um 160 Euro ärmer, dafür mit rotem Stempel auf meiner Zahlungsbestätigung spurte ich zurück. In einem Anflug von schlechtem Gewissen hat die Konsulin beide hinterlassenen Pässe bereits mit ihrem begehrten Visakleber versehen. Als ich ankomme, übergibt sie sie mir sofort strahlend und komplimentiert mich überschwänglich hinaus. Eine gute Taktik, ich komme gar nicht dazu, mich über den Preis zu beschweren.
Jetzt ist wieder Nachmittag, es hat wenig Sinn weiter zu machen. In der Wohnung meines Onkels hecke ich den Schlachtplan für den nächsten Tag aus. Um sicher zu gehen, dass ich nicht zu früh oder spät bei den restlichen Botschaften ankommen, möchte ich mir um 5 Uhr nachmittags vergewissern, wann die genauen Öffnungszeiten sind. Die Infos aus dem Internet waren oft genug nicht aktuell. Ich rufe an und erwarte ein Tonband, das darüber Auskunft gibt.
Und – siehe da, alle Botschaften außer der Chinesischen sind besetzt. Um 5 Uhr nachmittags? Leide ich selbst an einer unbekannten Form der Zeitverschiebung innerhalb Österreichs? Die Konsularstunden sind ausnahmslos vormittags angegeben, die der Botschaften selbst nie länger als bis 16 Uhr und nun sitzen um 17 Uhr manchmal sogar die Konsuln selbst am Telefon und erteilen mir bereitwillig Auskunft?
Der morgige Tag scheint unter einem besonders guten Stern zu stehen!
KIRGISTAN
Ich habe einen Termin bei den Kirgisen!
Gestern war die durch irgendeine glückliche Fügung am Telefon sitzende Konsulin so freundlich, mir zu erlauben, sie heute zu besuchen. Meine Telefonaktion war erfolgreicher als ich gedacht hatte, denn Termine sind in Kirgistan unbedingt nötig. Ich wäre sonst aufs Gerate Wohl gekommen und voraussichtlich vor verschlossener Türe gestanden.
Mit meinen deutschen Anträgen, den Fotos und den beiden Pässen begebe ich mich in die Invalidenstraße. Eine Einladung wird nicht benötigt, Kirgisen freuen sich auch über Besucher mit Eigeninitiative.
Die junge Konsulin begrüßt mich entgegenkommend, nimmt mir höflich meine Unterlagen ab und beanstandet sofort die deutschen Formulare. So werde das nicht bearbeitet, ich müsse schon die österreichische Fassung ausfüllen. Meine eigene solle ich gleich erledigen, die von Martin müsse ich leider mitnehmen und ein zweites Mal ausfüllen lassen. Schließlich braucht sie die Originalunterschrift auf der österreichischen Originalfassung. Sie rät mir, meinen Antrag gleich zu ändern und bei ihr zu lassen und den anderen morgen wieder zu bringen.
Ich erkläre ihr meine Lage, den Zeitdruck und dass es nicht möglich ist, die Unterschrift heute noch zu bekommen, weil Martin gerade seinen Schiurlaub mit seinen Söhnen in Frankreich genießt.
Sie runzelt ihre Stirn und blättert weiter in den Dokumenten. Das ist zumindest kein „Nein.“ „Wo ist die Bestätigung ihrer Reise-Krankenversicherung?“ Das ist auch kein „Nein“, aber trotzdem nicht die gewünschte Antwort. Bestätigung einer Krankenversicherung? Um meine Gesundheit steht es scheinbar wirklich schlechter als ich dachte. Ist vielleicht sogar schon Alzheimer im Anmarsch? Von einer solchen Anforderung weiß ich beim besten Willen nichts. Weder gestern am Telefon noch in der Infobroschüre der kirgisischen Botschaft in Deutschland war davon die Rede.
Jetzt ist Flexibilität angesagt. Ich erinnere mich an den Folder meiner Kreditkarte bezüglich inbegriffener Versicherungskonditionen. Irgendwo in meinem Rucksack liegt das Ding, erst gestern habe ich es durchgelesen. Ich schlage ihr vor, den Folder zu kopieren, denn es ist tatsächlich eine Reise-Krankenversicherung dabei und Martin besitzt ebenfalls eine solche Karte, damit gilt es gleich für beide.
Das ist natürlich nicht ausreichend. Ist ja kein österreichisches Originalformular mit Polizzennummer.
…und wenn du mal glaubst es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her…
In diesem Fall ein ganz eigenartiges Lichtlein. Auf der Suche nach weiteren Kritikgründen stößt die Konsulin auf mein Geburtsdatum.
Plötzlich erhellt sich ihre strenge Miene, ihre hübschen Gesichtszüge fallen mir auf. „Sie haben am gleichen Tag Geburtstag wie ich, sogar im selben Jahr!“ Ich weiß zwar noch nicht, was das jetzt bedeutet, aber die neue Freundlichkeit muntert mich auf. Binnen Sekunden ändert sich ihre formelle Haltung und sie schlägt einen weichen Plauderton an.
„So ein Zufall aber auch, dass wir uns treffen. Was führt dich – ich darf unter diesen Umständen sicher „du“ sagen, nicht war, was führt dich in mein Heimatland?“ Obwohl ich die Geschichte vorher bereits erwähnt hatte, eher sachlich, wiederhole ich sie und meine Geburtstagskollegin leiht mir willig ihr Ohr.
„Weißt du was, am besten wird sein, du lässt alles hier, nimmst ein österreichisches Formular mit für deinen Bekannten und er soll es faxen, sobald er zurück ist. Die Originalunterschrift hab ich immerhin auf dem deutschen Antrag, das reicht dann schon. Ich fange in der Zwischenzeit schon an, alles zu bearbeiten, so brauchst du nicht extra wieder nach Wien zu fahren und es entstehen keine verlängerten Wartezeiten. Gib mir nur noch kurz diese Infobroschüre deiner Kreditkarte, ich geh sie kopieren.“
Was sagt man dazu? Mein Geburtsdatum. Welch ein Glück, dass ich mich vor 24 Jahren nicht entschlossen habe, noch etwas länger im schützenden Bauch meiner Mutter zu bleiben oder gar früher neugierig auf >die Welt da draußen< zu sein.
Ihre Wiedersehensfreude beim Abholen muss ich jedoch im Keim ersticken, Andrea nimmt mir liebenswürdiger Weise diesen Gang ab und bringt alles zur chinesischen Botschaft, welche gleich um die Ecke in der „Stlohgasse 22“ liegt.
CHINA I
Die Chinesen sind die einzigen, die sich bis heute standhaft gegen jeden Annäherungsversuch geweigert haben. Eine Homepage gibt es, die angegebene Email Adresse bedauerlicher Weise nicht. Jeder Anrufer wird von einem Tonband abgefangen, an dem man nur vorbeikommt, wenn man die Sprachboxnummer der jeweils zuständigen Person kennt, was natürlich voraussetzt, dass man irgendwann einmal mit dieser Person gesprochen hat. Persönlich von Angesicht zu Angesicht versteht sich, denn wie gesagt, jeder Anrufer wird von einem Tonband abgefangen, an dem man nur vorbeikommt…
Die Öffnungszeiten werden am Tonband bekannt gegeben, ich versuche also mein Glück und werde erhört. Die Eingangstüre ist geöffnet, zwei deutlich beschriftete Schalter für „Abgabe“ und „Abholung“ sind frei zugänglich, hinter dem Glasfenster sitzen zwei junge chinesische Frauen und betrachten mich mit diplomatischer Freundlichkeit.
Vor dem Fenster angekommen möchte ich von der Linken der beiden wissen, woher ich eine Sondergenehmigung für Privatpkws bekomme, die unter den Voraussetzungen für ein Visum im Internet angeführt wird.
Nach der Reiseroute gefragt entgegne ich: „We will enter China at the border from Kyrgyzstan and take the Karakoram Highway from Kashgar to Pakistan. “ Die Ausdrücke China, Pakistan und Kirgistan sind ihr geläufig, bei Kashgar und Karakoram Highway stutzt sie. Wo denn das sei solle ich ihr erklären. In China?
Auch die „soy route“ und „north west“ hilft ihr nicht weiter. Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass mir selbst nur ein Teil des chinesischen Namens von dem Gebiet einfällt. An Xinjiang erinnere ich mich noch, Ugyur ist mir entfallen. Als sie immer noch nicht weiß wo ich hin will wird sie sehr unbürokratisch. „Ist das in Tibet? Nein? Dann brauchen Sie keine Sondergenehmigung.“ Das ist mehr als ich erhofft hatte.
Nun konnte ich beruhigt nach Hause gehen. Andrea würde keine Probleme bei der Abgabe haben. Wenn man sie mal persönlich erwischt, ist es relativ einfach. Geographische Kenntnisse des Heimatlandes sind allerdings kein Aufnahmekriterium für Botschaftsmitarbeiter. Man ist immerhin nur Repräsentant und Auskunftsperson.
Zur Sicherheit bitte ich noch um eine Durchwahlnummer falls unerwartete Fragen auftauchten.
Später erfahre ich von Andrea, dass sie am Mittwoch (mittwochs ist nie Parteienverkehr bei den Chinesen – wer hält schon fünf Tage die Woche lästige Bittsteller aus?) die verwirrte Beamtin scheinbar aus dem Schlaf gerissen hat, denn nach dem Klingeln um 10 Uhr drang eine verschlafene Stimme aus der Sprechanlage an der Eingangstür „Heute keine Konsulalstunden, molgen wiedel.“
TURKMENISTAN III
Von Ganesha Travel habe ich immer noch keine Antwort erhalten, darum gehe ich wieder persönlich hin, es ist nicht weit von der chinesischen Botschaft.
Mein Ansprechpartner ist leider erkrankt. Die Vertretung sieht die Korrespondenz durch und teilt mir mit, was die Partneragentur gemailt hat. Es gibt anscheinend ein neues Gesetz, dem zu Folge man eine Hotelbuchung und einen turkmenischen Guide für die Reise benötigt. Die Frage, ob dieser Guide dann vier Tage lang bei uns im Auto mitfährt oder ich seine Spritkosten auch noch zahlen muss, kann ich mir nicht verkneifen.
Davon abgesehen, macht mir die Hotelbuchung zu schaffen, damit habe ich bekanntlich ein Problem. Ich kann nichts Konkretes reservieren, wenn ich nicht weiß, wann genau ich einreisen werde. Die schönsten Hotels am letzten Märzwochenende helfen mir nichts, wenn wir erst in der ersten Aprilwoche einreisen, weil uns zuvor ein netter Iraner vielleicht auf eine besondere Sehenswürdigkeit etwas abseits vom Weg hingewiesen hat.
Dazu kommt, dass ich mir sicher bin, dass die Konsulin am Telefon etwas von diesem neuen Gesetz erwähnt hätte.
Ich unterstelle dem Reisebüromitarbeiter insgeheim, nur wegen seiner Provision neue Regelungen erfunden zu haben und entscheide mich kurzfristig, ihre turkmenische Heiligkeit in ihrer Residenz, der Botschaft, aufzusuchen.
Sie empfängt mich 10 Minuten später und fragt sogleich, ob ich wegen Visaangelegenheiten oder Sonstigem hier bin, damit sie entscheiden kann, welchen Büroraum sie aufsuchen wird.
In sehr saloppem wiener Dialekt erklärt sie mir, dass sie eine Hotelreservierung oder ein Guide nicht interessieren und es ihr „vollkommen wurscht“ ist, wie ich zu der benötigten Einladung komme. Sie braucht nur dieses Stück Papier mit Stempel der Turkmenischen Republik, alles andere ist ihr, wie schon erwähnt „völlig wurscht“.
Warum Amado nicht schreibt, weiß sie auch nicht, vielleicht sind wieder Feiertage. Das Problem mit der Telefonverbindung kennt sie bereits. „Seit Monaten gibt es irgendwo zwischen der Türkei und dem Iran eine Schwachstelle in der ISDN-Leitung, die Telekom ist damit offensichtlich überfordert. Es funktionieren nur Analogleitungen“, meint sie. Wo bekomme ich bitte schön eine Analogleitung her? In einem Zeitalter, in dem sogar meine Eltern nach langem Überlegen auf die Annehmlichkeiten einer ausschließliche Leitung verzichtet haben und zugunsten aller – abgesehen von Turkmenistan und neuerdings auch mir – ein ISDN Kabel verlegen ließen!?!
Mit frischem Elan laufe ich zurück zu Ganesha Travel, wo ich dem geldgierigen Mit-vierziger den Sachverhalt erkläre.
Scheinbar ist er doch nicht nur auf seine Provision bedacht, denn er verspricht mir, sich selbst mit Amado, meiner kontaktscheuen turkmenischen Agentur, auseinander zu setzen. Vielleicht hilft sein offizieller Briefkopf mehr, als meine private Anfrage!
In spätestens drei Tagen sollte ich Bescheid wissen.
Damit ist mein 2. Wienaufenthalt zu Ende, die Zwischenbilanz ist um einiges besser als nach dem ersten Mal, mein Optimismus hat geholfen!
Wieder zu Hause, finde ich am nächsten Tag ein Mail von Amado in meiner Inbox. Herr Tambaleva entschuldigt sich für die späte Antwort mit der Erklärung, dass die Turkmenen soeben 3 Feiertage genossen hätten.
Eine vollständige Liste mit allen nötigen Voraussetzungen ist beigefügt, ca. 15 einzelne Punkte. Mit einem mulmigen Gefühl im Bauch beginne ich, die Anforderungen zu studieren. Bei Punkt 10 war ich schon wieder frohen Mutes, alles nur Kleinigkeiten, sehr detailliert aufgelistet, keine Spur von Hotelreservierung oder Touristguide.
Fast hätte darüber hinweg gelesen. Vielleicht steigt hier die Reihenfolge der Wichtigkeit, je weiter unten am Blatt und je besser versteckt der Hinweis ist. Wären die Hauptbedingungen zu Beginn und gut lesbar angeführt, könnte ja jeder einfach einreisen – unter Punkt 13 entdecke ich das gefürchtete Wort: Hotel-Voucher. Noch dazu muss dieser am Tag der Einreise von einem Hotelmitarbeiter beim Grenzposten hinterlegt werden. In meiner blühenden Phantasie sehe ich schon einen verhungerten, mit Spinnweben überzogenen Hotelboy tagelang an der Grenze warten.
Das muss ich verhindern! Ein weiteres Mail flitzt nach Turkmenistan. Zum x-ten Mal betone ich die nötige Flexibilität, die man auf eine Autoreise quer durch Europa und Asien mitbringen muss und bitte Herrn Tambaleva erneut, eine Lösung zu finden.
Bereits nach 2 Tagen erhalte ich eine positive Rückmeldung: Er wird einen Blanko-Voucher organisieren für die Einladung und ich darf ihn 3 Tage vor der tatsächlichen Einreise von unterwegs anrufen, damit die exakte Buchung über die Bühne gehen kann.
Unwillkürlich breitet sich ein Lächeln auf meinem Gesicht aus. Ich kann mein Glück kaum fassen!
Sofort erteile ich ihm offiziell den Auftrag, sich um die Einladung und den Voucher zu kümmern, liste sämtliche erbetenen Daten auf und bestärke ihn, sich umgehend zu melden, sollte er noch etwas brauche. Meinen ohnehin immer sehr persönlichen und anspornenden Abschiedsgruß baue ich unter diesen besonderen Umständen noch ein bisschen aus, Herr Tambaleva hat sich wirklich über seine Standardmöglichkeiten bemüht.
Als nach einer halben Woche immer noch keine weiteren Fragen eingegangen sind, sehe ich es als Bestätigung für den erfolgreichen Start meiner Einladungsbesorgung.
Weit gefehlt! Kurz bevor ich wieder nach Wien unterwegs bin, bemerke ich etwas erstaunt – aber nur etwas, in der Zwischenzeit rechne ich mit allem, denn es ist schon viel passiert! – eine Nachricht in meinem Email Account.
„Gerne übernehmen wir die Organisation Ihrer Einladung, da Sie aber mit einem Privatpkw ankommen, brauchen wir die Fahrgestell- und Motornummer des Wagens. Es dauert dann nur noch 3-4 Wochen und Sie können die Abwicklung der Visaformalitäten in Österreich angehen.“
Ich glaub ich habe das nicht ganz verstanden. Noch einmal: Fahrgestellnummer? Das Auto wird erst frühestens 1 Woche vor Abfahrt geliefert, das ist allerdings eine andere, sehr lange Geschichte. Woher nehme ich die weiteren 3 Wochen?
Jetzt reicht es!
Wir beschließen, Mission Turkmenistan in Österreich zu beenden und den turkmenischen Botschafter im Iran zu bezirzen. Unsere optimistische Grundeinstellung erlaubt uns, uns auf dieses Wagnis einzulassen. Mit etwas Glück bekommen wir dort sogar alles schneller. Vor 30 Jahren war es zumindest noch möglich. Was kann schon in 30 Jahren Entsetzliches passiert sein?
CHINA II
Wieder in Wien, diesmal zu zweit, eilen wir sofort ins chinesische Hauptquartier. Mit den Abholscheinen und dem Geld werden uns die Visa am Abholschalter unverzüglich ausgehändigt. Andrea hatte wieder ganze Arbeit geleistet. Sollte ich noch einmal auf die Idee kommen, so eine Reise zu machen, werde ich sie bei jedem Weg mitnehmen. Ihre Wirkung auf Botschaftsbeamten scheint sensationell. Wo ist der Haken?
Das sollten wir erst später erfahren.
IRAN II
Der Tag ist allerdings noch lange nicht zu Ende, denn bei der iranischen Auslandsvertretung sind die Einladungen eingelangt, wir können also mit der Einzahlungsbestätigung und den Pässen die Visa abholen. Relativ rasch winkt uns der zuvorkommende Herr Magister vom letzten Mal zu sich. Er nimmt die Dokumente entgegen und rät uns, kurz Platz zu nehmen. Eine halbe Stunde später – ich bin wieder allein – lächelt er mir aufmunternd zu und – welch ein Fortschritt – richtet das Wort direkt an mich. Ich will die fertigen Pässe entgegennehmen, doch er denkt gar nicht daran. In 3 Tagen soll ich wieder kommen, dann ist alles parat. Die Frage, warum ich eigentlich jetzt noch eine halbe Stunde warten musste, beschäftigt mich nicht, das ist eher eine übersehbare Kleinigkeit. Vielmehr Kopfzerbrechen macht mir der Termin bei der indischen Konsularabteilung in einer Stunde. Wir sind dort mit 49 Pässen einer Reisegruppe inklusive unserer eigenen angemeldet. Ich erkläre ihm mein „Handicap“ und unterstreiche es mit meinem aller züchtigsten Augenaufschlag. Er soll sich nicht bedrängt fühlen, aber wissen, dass es mir ernst ist.
Sehr viel Arbeit sei zu erledigen, erwidert er und weist bedeutungsvoll auf einen unübersehbar großen Stapel mit 10 Pässen.
Ein Hinweis auf die Möglichkeit von Bestechungs- Verzeihung, Spenden wollte ich sagen? Ich überhöre es geflissentlich und appelliere an sein gutes Herz, ihn bei jeder Gelegenheit „Herr Magister“ nennend (er liebt es, seinen Titel zu hören). Ein mitleidshaschendes Lächeln später bedeutet er mir resignierend, mich wieder zu den Wartenden zu gesellen. Im Stillen triumphierend lasse ich mich auf einen Sessel fallen.
Nach nur 2 weiteren Bittstellern verschwindet er - nicht ohne ein verschwörerisches Augenzwinkern in meine Richtung – in sein Geheimkämmerchen. Als er wieder erscheint, hält er die Pässe samt Visaklebern in seinen Händen und überreicht sie mir lächelnd durchs Fenster. „Das ist eigentlich eine Expressausstellung, die kostet normal doppelt soviel..“ Ein neuer Versuch? Abermals tue ich, als ob ich nicht wisse wovon er spricht. Diese Art Geschäfte ist in Österreich streng verboten, und, was für mich noch wichtiger ist: ich hab auch so alles, was ich will. Ich lasse ihn wissen, dass wir allein durch seine Großzügigkeit alle unsere Termine einhalten können und die Reise ohne große Verzögerungen antreten können und dass ich natürlich sehr gespannt bin, sein Heimatland endlich selbst zu sehen.
So, nun aber am schnellsten Weg zu den Indern!
INDIEN II
Heute können wir sogar den Text auf dem kleinen Schild im Gang lesen, außer uns ist niemand da. Pünktlich zur vereinbarten Zeit betreten wir die Konsulatsräume.
Hier haben wir uns einer größeren Herausforderung zu stellen.
In unserem Gepäck befinden sich insgesamt 49 Pässe, deren Inhaber für eine gemeinsame Sikkim-Reise im Sommer eine Innerline Permit und natürlich das indische Visum brauchen. Da Martin dabei als Reiseorganisator und ich selbst als Reiseleiterin fungiere, sollten unsere beiden Visa gleich für beide Trips gelten. Und im Gegensatz zu den anderen in nur 2 Tagen fertig sein, da ich am kommenden Wochenende ins Ausland fahre, genauer in die Schweiz, wo man bekanntlich immer noch seinen Pass vorweisen muss.
Erschwerend kommt hinzu, dass sich unter den 49 Personen nur 5 österreichische Staatsbürger befinden, dazu kommen viele Deutsche, Holländische, Spanische und Rumänische. Fast alle haben brav und fristgerecht ihre Unterlagen geschickt, vollständig und korrekt ausgefüllt, mit jeweils 2 Fotos.
Den Umstand, dass wir trotz alledem hier her kommen dürfen und nicht jeder einzelne sein Visum selbst besorgen muss, verdanken wir Herrn Shukla. Ein guter Stern hat beim 4. Anruf über Martin gestanden. Mr. Shukla selbst war am Apparat, erteilte freundlich alle erwünschten Auskünfte und machte es trotz gegenteiliger Auskünfte am Vormittag möglich, alles auf einmal abzuwickeln.
Sogar einen Termin haben wir erhalten.
Hier sind wir also, fest davon überzeugt, uns durch keine bürokratische Hürde einschüchtern zu lassen und standhaft unser Ziel zu verfolgen.
Ein kleiner Inder mit auffallend schwarzem Schnurrbart (im Gegensatz zu den graumelierten Haaren, die unter seinem Turban hervorlugen) begrüßt uns. Die letzte Schnurrbartfärbesession ist bereits einige Tage her, denn der Nachwuchs ist ziemlich weiß, verbindet völlig unscheinbar das Gesicht mit dem colorierten Teil, so dass man den Eindruck bekommt, der tiefschwarze Bart schwebe vor dem Gesicht.
Mr. Shukla erscheint nach mehrmaligem, entschiedenen Pochen auf unsere Verabredung. Es ist jedoch nicht er, der sich anfangs weigert, sondern sein schnauzbärtiger Assistent, der ihn nicht stören möchte.
Gleich darauf vernehmen wir, dass wir für alle ausländischen Staatsbürger ein weiteres Formular mit sämtlichen Daten ausfüllen müssen, das hatte Shukla wohl in der Hektik am Telefon vergessen.
Es kostet zusätzlich 11 Euro pro Nase, denn es wird an die jeweilige Botschaft im Heimatland gefaxt. Ein kostspieliges Unterfangen. Sollte keine Rückmeldung kommen, ist alles in Ordnung und die Visaausstellung kann beginnen. Flattert doch ein Fax aus dem Drucker, so ist die Antwort negativ und der Antrag wird abgelehnt. Wie lange man den Kollegen im Ausland die Chance gibt, abzusagen, entscheidet die Tagesverfassung des Konsuls.
Außerdem sollen wir bei der Gelegenheit in der Zeile „Dauer des Aufenthaltes“ und „Anzahl der Einreisen“ die bereits am PC vorausgefüllten Daten, die bei allen gleich sind, noch einmal groß dazu schreiben. Für unseren Freund mit Turban wäre es sonst zu anstrengend, sich bei jedem Blatt aufs Neue zu konzentrieren und die kleingedruckten Zeilen zu entziffern.
Uns wundert nichts mehr. ‚Schnell’ schreiben wir die 49 Sonderzettel und die gewünschten Änderungen. Mr. Shukla besucht uns in der Zwischenzeit immer wieder und fragt, wie weit wir schon sind. Sein Magen knurrt schon. Als wieder alles eingeordnet ist bringt uns der zuvorkommende Schnauzerträger eine Heftmaschine und möchte, dass wir bei jedem Antrag das 2., nicht angeklebte Foto anheften. Ich bin froh, dass er es uns nicht schon vorher gesagt hatte, sonst wäre alles viel leichter und in einem Arbeitsschritt erledigt gewesen.
Endlich sind wir fertig. Unseren Sonderwunsch bezüglich Eilabfertigung der österreichischen Anträge können wir erfolgreich durchboxen. Nun sind nur noch die finanziellen Forderungen ausständig. Wegen der (überhöhten) Faxgebühren haben wir zu wenig Geld dabei. Ich laufe schleunigst zum nächsten Bankomat und komme keuchend zurück.
Einstweilen hat sich herausgestellt, dass wir das Geld doch nicht brauchen. Bewegung schadet nie, ich bemitleide mich daher nicht, umsonst unter Einsatz meines Lebens im Eiltempo drei stark befahrene Strassen überquert zu haben, sondern bleibe ruhig und gelassen.
Trotzdem bin ich neugierig. Was ist ihnen diesmal eingefallen? Die Erklärung folgt auf dem Fuße. Da die Gruppe erst in genau 6 Monaten und 1 Tag einreist, darf das Ausstellungsdatum nicht von heute sein, denn man muss spätestens nach 6 Monaten zum ersten Mal ins Land. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass Mr. Shuklas Assistent heute einen Anfall von Arbeitswut bekommt und sofort alle 49 Anträge bearbeitet. Warum sollte er sonst vorher gemeint haben, dass die Pässe erst in einer Woche abzuholen sind?
Aber ich kenne noch nicht die ganze Geschichte. Das Ausstellungsdatum wird nämlich, egal an welchem Tag die tatsächliche Bearbeitung erfolgt, mit dem Datum des Zahlungsbeleges abgeglichen.
Daher können wir nicht heute zahlen.
Das war jedoch immer noch nicht die ganze Geschichte: Der indische Schreiberling hatte während meiner Abwesenheit versucht, unseren Zeitplan völlig zu durchkreuzen. Er hatte vorgeschlagen, doch erst im Juli wieder zu kommen, damit sicher nichts schief gehen kann mit dem Einreisedatum.
Ist es wirklich so schwer, dass diese Leute ein zweites Mal ihre Ausweise für 3 Wochen verschicken? Soviel Urlaub können die gar nicht haben, dass sie unbedingt immer ihre Pässe zu Verfügung haben müssen. Er war von Martins Argumenten nicht wirklich überzeugt und wahrscheinlich glaubt er, für Geschäftsreisen braucht man keinen Pass.
Mit Mr. Shuklas Unterstützung – so viele Umstände waren sogar ihm zuwider und außerdem hatte er Hunger – konnte Martin ihn wieder in erträglichere Bahnen lenken.
Übermorgen darf ich kommen und die österreichischen Visa abholen, wohl gemerkt am Vormittag zum Bezahlen und am Nachmittag zum Abholen, denn Kassa und Ausfolgungsschalter sind nie gleichzeitig geöffnet. Das könnte Verwirrung stiften.
Am Mittwochvormittag stehe ich also in der Schlange vor dem Herrn mit dem Turban. Er erinnert sich wirklich an mein Anliegen, hat sogar die fünf Pässe vor sich und kassiert die Gebühren. Dann unternimmt er einen letzten Versuch und will mich mit der Abholung auf Morgen vertrösten, doch mittlerweile bin ich abgebrüht und weiß ungefähr, wer mit welchen Mitteln zu erweichen ist. Ich erwähne nur kurz die Abmachung mit Herrn Shukla, und er kriecht bereits zu Kreuze. Um 17 Uhr soll meine Odyssee ein Ende haben.
Ich kann’s noch gar nicht fassen!!
Kurz vor 17 Uhr stehe ich auf der Schwelle. Nur der Ausgabeschalter ist geöffnet, aber der genügt mir. Ohne Probleme bekomme ich die 5 Pässe. Ich will fast gehen, bin aber neugierig, wie der indische Kleber aussieht und vor allem die Sikkim Permit. Beim Blättern im mittlerweile ziemlich vollen Pass werde ich unsicher. Das Visum ist da, aber das Wort Sikkim ist nirgendwo zu entdecken. Der indische Beamte ist ein wenig verwirrt, als ich mich an ihn wende. „Sie brauchen eine Sikkim Permit?“
Eine sarkastische Bemerkung liegt mir auf der Zunge, aber so kurz vor meinem Ziel werde ich mich nicht von derart niederen Gedanken überrumpeln lassen. Lächelnd zeige ich ihm den Antrag und das dick unterstrichene Wort Sikkim in der Spalte „benötigte Genehmigungen“. Hilfe suchend blickt er um sich, es ist ihm sichtlich peinlich.
Just in dem Augenblick läutet die Türglocke, ein Leidensgenosse möchte seinen Pass abholen. Durch die Sprechanlage gibt ihm mein Gegenüber zu verstehen, dass es jetzt 17 Uhr sei und die Konsularabteilung sperre um 17 Uhr zu. Er solle bitte morgen wieder kommen.
Ich war doch selbst für genau 17 Uhr bestellt – sogar zwischen 17 Uhr und 17:30 Uhr. Sollte das ein letzter Versuch gewesen sein, mir Steine in den Weg zu legen? Egal, ich war überpünktlich und bisher hat sich noch alles zum Guten gewendet. Davon gehe ich auch jetzt aus.
Ein Turban biegt um die Ecke, darunter versteckt sich der kleine, überbürokratische Inder von Vorgestern. Als hätte den stummen Hilfeschrei seines Kollegen vorhin gehört, schreitet er mit mitleidiger Miene auf mich zu. Offensichtlich steht mühsame Bürokratie nur in der Vormittagsdienstanordnung, denn er marschiert ohne Aufhebens in sein Büro und stempelt den wichtigen Spezialvermerk in alle 5 Pässe. Beim Abschied erzählt er mir, wie schon zwei Tage zuvor, von seinem Plan, sich in die indische Botschaft in Bhutan versetzen zulassen und lädt mich bei der Gelegenheit gleich zum Tee ein, wenn wir zufällig mal gleichzeitig in Bhutan sein sollten. Ich werde mich hüten, aber das sage ich ihm natürlich nicht!
Kaum habe ich die Tür hinter mir geschlossen, springe ich im Freudentanz die Stufen hinunter. Wir haben es tatsächlich geschafft, alle Visa sind im Pass, der Reise steht nichts mehr im Wege.
Das turkmenische Visum im Iran kann nur noch ein Kinderspiel sein!!
Es kann losgehen!!!
Nein, halt!
Vorher möchte ich noch eine Gedenkminute einlegen. Eine Gedenkminute für die armen Iraner, Turkmenen, Usbeken, Kirgisen, Chinesen, Pakistani und Inder, die viel längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, wenn sie ein Visum für unsere Europäische Union brauchen.
Sie müssen es wirklich hart erkämpfen durch unsere restriktiven Auflagen, die es ihnen sehr erschweren, Länder in der EU zu besuchen.
Wen wundert es dann noch, wen sie uns ein bisschen mitfühlen lassen möchten, wie es ihnen ergeht, wenn sie im jeweiligen Heimatland viel öfter als nur drei mal zur Botschaft laufen und europäische Bürokratie erdulden müssen?!
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